Mobilfunk: Besorgnis der Menschen ernst nehmen

Umstrittene Funkmasten.

Kritiker von Mobilfunkanlagen werden in der politischen Diskussion gerne als Menschen abgestempelt, die sich dem technischen Fortschritt in den Weg stellen wollen. Maschinenstürmern ähnlich. Dass aber nicht alles als unproblematisch hingenommen werden sollte bei dieser Kommunikationstechnik zeigte sich jetzt bei einem Informationsabend in Neulingen-Göbrichen, zu dem die Gemeinde Neulingen zusammen mit der Initiative für verantwortungsbewussten Umgang mit Mobilfunk Enzkreis-Neulingen eingeladen hatte. Referent war Jörn Gutbier, Baubiologe und Stadtrat in Herrenberg. Anlass war der Ausbau von Funksystemen auf dem Göbricher Feuerwehrturm und die Neuaufstellung eines Funkmasten in Nußbaum. Es war kein Handy-nein!-Abend, sondern eine Veranstaltung darüber, wie die Nachteile minimiert werden können. Sorgloser Umgang mit Mobilfunktechnologien kann sich rächen an der Gesundheit: akute, mittel- und langfristige Auswirkungen der Strahlungen sind noch zu wenig untersucht, als dass Entwarnung gegeben werden kann. Angstmacherei, die diese Debatte überlagert, ist genauso fehl am Platz, weil Emotionen freigesetzt und das Rationale zurückgedrängt wird.

Ein klarer Kopf in der Mobilfunkdiskussion ist notwendig. Nach dieser Veranstaltungen steht für mich fest. Die Politik muss handeln. Wir brauchen

- niedrigere Grenzwerte, die sich am Schutz der Menschen, nicht an den Gewinnen der Mobilfunkbetreiber orientieren

- keine neun parallelen Netze, sondern ein taugliches Netz, in das sich die Mobilfunkbetreiber teilen. Wir haben schließlich auch nicht für jede Automarke eine eigene Autobahn

- mehr rechtliche Handlungsmöglichkeiten für die Kommunen, um das Mobilfunknetz auf ihrer Markung zu steuern.

Die angeblich wissenschaftlich abgesicherten Grenzwerte stammen von der ICNIRP, einem privaten Verein mit 13 Mitgliedern aus München (Ingenieure/Physiker), die übernommen worden sind von der WHO, die aber von Wissenschaftlern wie Professor Dr. Neil Cherry aus Neuseeland kritisiert werden. Zweifel an den Grenzwerten erbrachte auch der ATHEM-Report. Die bisherigen Studien aus dem Deutschen Mobilfunkforschungsprogramm sind nicht ausreichend. Es wäre Aufgabe des Staates, hier für neutrale Studien zu sorgen. Aber der Bund hat offenbar nur ein eingeschränktes Interesse, denn er hat schließlich UMTS-Lizenzen versteigert, seine Kassen mit Milliarden Euro gefüllt und sieht nun die vorrangige Notwendigkeit, auch die technischen Rahmenbedingungen so zu schaffen, dass diese Lizenzen voll genutzt werden können. Wo aber bleibt die Gesundheit der Bürger? Es ist wie bei der Gentechnik: Die Schädlichkeit für die Menschen ist weder widerlegt noch belegt - deshalb ist Vorsicht geboten. Sind wir als Kommunen und Bürger, wie es Gutbier sagt, völlig entrechtet?

Mobilfunk wird nicht versichert, sagt Gutbier und verweist auf das Beispiel der e-s rück. Hintergrund seien die schlechten Erfahrungen, die Versicherungen mit Asbest und seinen Folgen gemacht haben.

In Deutschland gibt es neun parallel aufgebaute Mobilfunknetze. Derzeit erweitert O² sein Netz. Jetzt baut das Land Baden-Württemberg den digitalen Behördenfunk auf. Allein 17 dieser neuen BOS-Funktürme sind im Enzkreis vorgesehen. Doch die Standorte werden geheim gehalten, auch von der Kreisverwaltung, das sich auf Vorgaben des Landes bezieht. Die Standort-Angaben seien Verschlusssache ("VS - Nur für den Dienstgebrauch"), ist mir vom Landrat auf einen Antrag der CDU-Kreistagsfraktion hin mitgeteilt worden. Das ist lächerlich! Inzwischen wissen wir doch schon Standorte, so den in Neuenbürg, weil die Angelegenheit im Gemeinderat beraten wurde und auf Widerstand in der Bevölkerung stößt. In Mühlacker ist die Anlage an einem der Sender des SWR angebracht worden - von der Stadtverwaltung im Rahmen der Baugenehmigungsverfahren genehmigt. Einer der Standorte soll auch im Raum Friolzheim sein. Nach und nach kommen die Standorte heraus. Weshalb wird da nicht gleich mit offenen Karten gespielt? Das aber ist symptomatisch für den Umgang des Staates mit Bedenken wegen Mobilfunks.

Besorgte Bürger wenden sich an ihr Rathaus. Dort liegt dann der Schwarze Peter. Obwohl die neue Landesbauordnung Baden-Württemberg das Mitspracherecht und die Gestaltungsmöglichkeiten für Städte und Gemeinden deutlich verringert hat.

Die Mobilfunkinitiative Herrenberg hat Handlungsmöglichkeiten der Kommunen aufgelistet. Mit denen müssen wir uns auch in Mühlacker beschäftigen. Das Ziel: ein Konzept zur Minimierung der Mobilfunk-Lasten. Es geht nicht um Handy-Verhinderung (gleichwohl ich mich immer frage, weshalb manche auch noch auf der Toilette telefonisch erreichbar sein wollen), sondern um Minderung der Strahlen-Belastungen, also des Elektrosmogs.

Gefordert ist hier die Politik. Dass kein einziger Abgeordneter an der Veranstaltung in Neulingen teilnahm, obwohl Bürgermeister Michael Schmidt eingeladen hatte, ist typisch. Die zunehmenden Sorgen der Menschen werden von den Politikern leider nicht ernst genommen. Die CDU-Landtagskandidatin Viktoria Schmid hatte den Termin zwar im Kalender ihrer Homepage stehen, doch den Termin hat sie sich dann geschenkt - auch sie war nicht da. Sich mit diesem Thema auseinander zu setzen ist natürlich mühsamer als bei der Bürgermeister-Verabschiedung in Wurmberg in der ersten Reihe zu sitzen, so als sei man schon gewählt. Politik will das lästige Thema verdrängen.

Für mich steht als Ergebnis der Veranstaltung fest: Wir brauchen neutrale Untersuchungen über die Gefahren der Elektrostrahlungen.