Hektar, Tiere und Betriebe: Die Renaissance der Ortsteile-Statistik

"Der rasche Abschied von der Landwirtschaft", überschrieb Autor Konrad Dussel den auf Seite 204 beginnenden Beitrag im 2016 erschienenen Lienzinger Heimatbuch über den strukturellen Wandel des Dorfes. In der Gegenwart seien die Verhältnisse (...) schwerer überschaubar, weil keine Lienzinger Daten mehr veröffentlicht werden (seine enden 1971), sondern nur noch zu Mühlacker insgesamt. Aus diesen musste er Rückschlüsse auf Lienzingen ziehen, das 1975 seine kommunale Selbstständigkeit verlor und deshalb - wie die anderen eingemeindeten Orte - für das Statistische Landesamt Baden-Württemberg als eigene Datengröße nicht mehr interessant war. Doch das änderte sich jetzt. Das "Stala" - Referat 62, Landwirtschaft - bietet bei den Agrarstrukturdaten erstmals auch die Zahlen der  einst eigenständigen Kommunen bis 2016 an. E-Mail an agrarstruktur@stala.bwl.de reicht. Und so habe ich mir die Zahlen der Kernstadt und den Stadtteilen schicken lassen. Eine Renaissance der  Ortsteile-Statistik? Ein bisschen schon.

 

F_Enzberg.pdf  

F_Grossglattbach.pdf 

F_Lienzingen.pdf

F_Muehlacker.pdf

L_Lomersheim.pdf

F_Muehlhausen.pdf

So wissen wir nun, dass in Lienzingen bei  der Erhebung 2016 drei Halter exakt 249 Rindviecher in den Ställen stehen hatten. Auf 173 Hektar wuchs Getreide (2010: 113, 1949: 157). Und Mais, der beliebte Rohstoff für die Biogasanlage der Stadtwerke Mühlacker in den Waldäckern? 1976 gedieh er auf 114 ha (ein neuer Rekord), 2010 auf 55, 1971 auf 19 ha, für 1949 wird keine Zahl ausgewiesen.

In Lomersheim, Lienzingen und Mühlhausen nahm die landwirtschaftlich genutzte Fläche von 2010 bis 2016 kräftig  sowie in Großglattbach leicht zu, in Enzberg minimal und in der Kernstadt stärker ab. Für 2016 werden 2296 Hektar in der Gesamtstadt angegeben, eine Netto-Zunahme von 243 Hektar. Obwohl nach der öffentlich geführten Diskussion um Bauland und Flächen-Druck gerade in Mühlhausen und Lomersheim das Gegenteil hätte vermutet werden müssen. Landesweit weist der Agrarstrukturbericht 2016 auch ein leichtes Plus aus. Das Rätsel hat eine Lösung.

Wie erklärt sich dieser Zuwachs? Benjamin Schmierer, Landwirt in Mühlhausen, dazu auf meiner Facebookseite: Es ist natürlich falsch, dass sich die landwirtschaftlich genutzte Fläche in Mühlhausen oder Lienzingen seit 2010 vermehrt hat. Wie sollte das auch möglich sein? Marschland durch Deichbau konnte im Enztal nicht gewonnen werden. Die Daten bezüglich Flächennutzung stammen aus dem "Gemeinsamen Antrag", den jeder Landwirt jedes Jahr stellen muss. Da sich die Vorgaben für diesen Antrag aber mit jeder Reform ändern, entstehen daraus vermutlich Abweichungen. Wahrscheinlich wurden nicht alle Bewirtschafter erfasst. Tatsache ist: Die landwirtschaftlich genutzte Fläche wird beständig weniger. In Mühlacker bzw. Lienzingen wird ja nicht einmal die dafür eigentlich vorgesehene "Ziegelhäule" der Landwirtschaft zurück gegeben. Welche Ursachen sehen die Statistiker?

Ich habe eine Anfrage ans "Stala" geschickt. Das Geheimnis der Zahlen - Minus oder Plus - verrät Ulrike Kappelmann vom Statistischen Landesamt Baden-Württemberg Referat 62, Landwirtschaft: Bei den Agrarstrukturerhebungen gilt das Betriebssitzprinzip: Flächen und Tierbestände werden in der Teilgemeinde nachgewiesen, in der der Betrieb seinen Sitz hat, unabhängig davon, wo die Flächen liegen bzw. die Tiere eingestallt sind. Die Flächen müssen also nicht notwendigerweise in den jeweiligen Teilgemeinden liegen, sondern können auch mehr oder weniger weit entfernt sein. In Ihrem Fall werden sich wahrscheinlich ein oder mehrere Betriebe in diesen Teilgemeinden vergrößert haben.

Im Jahr 2016 stand nach längerem Abstand erstmals wieder eine größere Inventur in der Landwirtschaft an. Die hierzu vorgenommene Agrarstrukturerhebung erstreckte sich auf alle land- und forstwirtschaftlichen Betriebe im Land. In allen Betrieben wurden dabei  Kernmerkmale zur Bodennutzung und Viehhaltung erhoben. Allerdings verraten die Statistiker auch einen Schwachpunkt: - 1949: 2-20 ha; 1987: 1-10 ha; ab 2010: unter 10 ha. 2) 1949-1987: 20 ha u. mehr. "Die Agrarstatistik erfuhr im dargestellten Zeitraum mehrere strukturelle Brüche. Eine unmittelbare Vergleichbarkeit der Angaben ist damit nicht gegeben."

 

Trackbacks

Trackback-URL für diesen Eintrag

Kommentare

Ansicht der Kommentare: Linear | Verschachtelt

Noch keine Kommentare

Kommentar schreiben

Kommentare werden erst nach redaktioneller Prüfung freigeschaltet!


Um maschinelle und automatische Übertragung von Spamkommentaren zu verhindern, bitte die Zeichenfolge im dargestellten Bild in der Eingabemaske eintragen. Nur wenn die Zeichenfolge richtig eingegeben wurde, kann der Kommentar angenommen werden. Bitte beachten Sie, dass Ihr Browser Cookies unterstützen muss, um dieses Verfahren anzuwenden.
CAPTCHA

Umschließende Sterne heben ein Wort hervor (*wort*), per _wort_ kann ein Wort unterstrichen werden.
Standard-Text Smilies wie :-) und ;-) werden zu Bildern konvertiert.