Die große Schallplatte auflegen

Fällt die große Nadel?
So flott kommentiert ein Pforzheimer die Debatte um den Sender in Mühlacker: Die Sendeanlagen von Mühlacker sind (...) nur noch übergroße Blitzableiter, für die der öffentlich-rechtliche SWR jährlich einen hohen fünfstelligen Betrag zur Unterhaltung leisten muss. Also für einen Haufen nutzlosen Stahl, der noch nicht einmal besichtigt werden kann.  Soweit Besim Karadeniz (bka), Jahrgang 1975, Autor und Erfinder von PF-BITS seit 2016. Ich verfolge via Twitter seine nicht selten bissigen Kommentare zum Zeitgeschehen, vor allem auch zu lokalen und regionalen Themen. Jetzt krallt er sich ein Mühlacker Thema. Jedoch höchst konstruktiv. Er packt uns am Heimatstolz. Wo bleibt der Mut, Mühlackeraner? fragt der Onliner in seinem Blog. Dabei wäre es Mühlacker doch wirklich zu gönnen, einmal die große Schallplatte aufzulegen und sich neu zu erfinden. Zum Beispiel mit einem Rundfunkmuseum.  Seine Botschaft hat manches für sich: Schon allein das und noch viel mehr wären echte Hingucker für ein angemessenes Museum einer vom Rundfunk geprägten Stadt wie Mühlacker und würde mit großer Sicherheit auch ein entsprechendes Publikum anlocken, das sich sonst eher nicht nach Mühlacker verirrt. Wegen rot-weiß gestrichenen und langsam vor sich hinrostenden Stahl-Spargel allein kommt niemand.
Bei Frank-Ulrich Seemann, Vorstandsmitglied des Sender-Vereins Mühlacker, stößt die Museumsidee sicherlich auf Beifall  (das andere nicht). Er spricht auch von einem Rundfunkmuseum, just in den baulichen Anlagen des SWR, aber unter der großen Nadel, die Seemann & Co erhalten möchten, was freilich nicht bei allen in der Stadt auf Zustimmung stößt. Zur Stadtgeschichte gehört der Sender wie der Dom zu Köln (auch wenn dieser bedeutend wuchtiger und älter ist) und damit auch der Rundfunk. Deshalb passt ein Rundfunkmuseum zur Senderstadt, würde sie schmücken (mehr noch als ein Christbaumständermuseum). Seemann soll 400 Exponate in petto haben. Der lange Lulatsch von Mühlacker sorgt derzeit für neue Nachrichten. 2016 von der unteren Denkmalschutzbehörde der Stadt ganz geschickt zum Kulturdenkmal erklärt, legte der SWR Widerspruch beim Regierungspräsidium (RP) Karlsruhe ein, wohin dann die Akten wanderten. OB Frank Schneider fuhr zu Regierungspräsidentin Nicolette Kressl (SPD) und ihm gelang es, sie dafür zu gewinnen, den Fall dem zuständigen Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg vorzulegen. Denn der zuständige RP-Abteilungsleiter war angeblich wild entschlossen, dem SWR zu folgen. Aber das politische Gespür von Kressl siegte und nun ist das Ministerium am Zuge.
Für den Fall, dass das Regierungspräsidium dem Abriss des Senders doch zustimmt, würde  die einstige Mittelwelle-Antenne fallen. In diesem Fall hätte die Stadt keine Möglichkeit, rechtliche Mittel einzulegen, weil sie als untere staatliche Behörde (das ist sie als Baurechtsbehörde) nicht gegen die Entscheidung des Landes klagen dürfte. Anders sähe dies hingegen dann aus, wenn das Regierungspräsidium den Antrag des SWR auf Abriss ablehnt. Der Rundfunkanstalt stünde der Klageweg offen – dann müsste ein Gericht über die Zukunft des Mühlacker Wahrzeichens entscheiden. Dessen Urteil, so der OB ganz pfiffig, würde bei der Bevölkerung auf mehr Akzeptanz stoßen als die Entscheidung einer Behörde.
Noch sind wir nicht soweit. Eine grün-gelbe Koalition ist am Werk.
Als „Rückenwind aus Stuttgart für den Mühlacker Sender“ bezeichnet der FDP-Landtagsabgeordnete  Erik Schweickert und seine Grünen-Kollegin Stefanie Seemann aus Mühlacker eine Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums zur wirtschaftlichen Zumutbarkeit im Denkmalschutz. So stellte Ministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) auf eine Anfrage Schweickerts klar, dass für „landeseigene und kommunale Kulturdenkmale eine besondere, über die Pflichten sonstiger Denkmaleigentümer hinausgehende Erhaltungspflicht“ bestehe. Dies sei ein wichtiges Zeichen für Mühlacker, auch dahingehend, so Schweickert, dass sich das Land nicht aus der Verantwortung ziehen wolle, die es von vielen privaten Eigentümern wie selbstverständlich erwarte. Deshalb sind die beiden Abgeordneten hoffnungsfroh, dass es noch zu einer Einigung kommt. „Als Rundfunkanstalt des Landes sollte auch für den SWR die von der Ministerin hervorgehobenen besondere denkmalschutzrechtliche Erhaltungspflicht gelten“, äußerten sich die beiden Enzkreisabgeordneten gemeinsam. Seemann weist - wie ihr Gatte Frank-Ulrich für den Sender-Verein - darauf hin, dass die vom SWR genannten jährlichen Brutto-Unterhaltskosten angesichts des Jahresetats wohl eher der dortigen Portokasse entsprechen dürften. Sie betont, dass das Haushaltsvolumen des Baulast-Trägers SWR keine Rolle bei der Entscheidung über den Erhalt eines Kulturdenkmals spielen sollte. Hoffentlich leistet sie auch Überzeugungsarbeit bei den  Grünen-Vertretern in Rundfunkbeirat und Vewaltungsrat des SWR.
Jetzt warten wir weiter auf eine endgültige Entscheidung aus Stuttgart oder Karlsruhe. Die Idee mit dem Rundfunkmuseum muss deshalb nicht auf Eis gelegt werden. Besim Karadeniz: Man muss nur wollen. Oder um es im Sinne einer mutigen Senderstadt zu sagen: Es lohnt sich, auf die eigentliche Aufgabe einer Antenne zu schauen. Doch die Aufgabe muss nicht sein!

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