Turbo?

Erdarbeiten auf dem Areal von Thyssenkrupp
Eine schnell arbeitende Verwaltung wünschen sich die Bürger. Wenn im Rathaus auch noch der Turbo eingeschaltet wird, freut sich ein Antragsteller doppelt, schon gar, wenn es sich um einen Bauanatrag handelt. Doch wehe, wenn der Eindruck entsteht, als gehe es in einem speziellen Fall besonders rasant! Dann gibt's Ärger, wird ein Glücksfall zu einem umstrittenen Fall.  Aktuelles Beispiel: Die Entscheidung von Thyssenkrupp System Engineering, ein international agierender Systempartner für die Automobilindustrie, sich mit einem Werk an der B 10 in Mühlacker ("Lug/Osttangente") anzusiedeln - zwecks Produktion von Rohkarosserien für den schon projektierten E-Porsche. Da argwöhnen manche, da sei quasi mit dem Verkauf der Baufläche durch die Stadt schon die Baugenehmigung mitgeliefert worden. Kann schon deshalb nicht sein, weil zuerst der 2014 rechtskräftig gewordene Bebauungsplan geändert werden muss, was einen exakt eingetakteten Zeitplan erfordert, den umzusetzen, sportlich sei, wie aus der Chefetage im Rathaus verlautet. 

Doch wer in diesen Tagen sieht, wie auf dem künftigen Baugelände der Mutterboden weggeschoben wird, eine kraterähnliche Landschaft entsteht und PS-starke mächtige Maschinen über das Gelände flitzen, setzt schon ein Fragezeichen hinter die Feststellung von Stadtverwaltung und Gemeinderat, es gebe keine Lex Thyssenkrupp. Verständlich. Zumal die Öffentlichkeitsarbeit - aus Mangel personeller Kapazitäten - eine Schwachstelle im Rathaus ist und deshalb die Allgemeinheit nur unzureichend informiert wird. Weshalb aber Bürgermeister Winfried Abicht sich mit einem erklärenden Text nur an die Stadträte wendet und offenbar nicht an die lokalen Medien, mag verstehen, wer will - ich jedenfalls kapiere das nicht. "Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie dies Ihren Gesprächspartnern so weitervermitteln könnten", so schließt die hintergründige Mail vom 6. April von Abicht an den Gemeinderat.

Hier gebe ich die Mail im Original weiter, weil meine Adressaten nicht einzelne, sondern die Bürger allgemein sind:

"Da Sie in letzter Zeit wohl darauf angesprochen wurden, dass das Bauvorhaben ThyssenKrupp offenbar erstaunlich schnell realisiert wird, anbei einige Informationen zum Stand des Verfahrens:

Gewaltiger Fahrzeugpark
Das Landesamt für Denkmalpflege hat seine Arbeiten inzwischen beendet. Die wenigen Funde sind nicht bedeutend und stellen kein Bauhindernis dar.

Nach Ostern wird der Kampfmittelbeseitigungsdienst (vorsorglich) einige Proben über Bohrlöcher erheben.

Seitens der Stadt gab es einige Bodenuntersuchungen entlang der Osttangente sowie an der Fußgängerüberführung.

Darüber hinaus wurden dem Investor auch schon größere Bodenbewegungen (ohne Fundamentarbeiten) erlaubt, nachdem der Bauantrag inzwischen vorliegt. Die Freigabe reiner Erdarbeiten erfolgte auch schon bei anderen gewerblichen Bauvorhaben vor Erteilung der Genehmigung. Für Außenstehende sind diese Arbeiten natürlich sehr auffällig, zumal das Gelände auch noch sehr exponiert an der stark befahrenen Bundesstraße liegt.  

Die Verwaltung gibt Erdarbeiten allerdings erst dann frei, wenn erkennbar ist, dass in zeitlicher Hinsicht nach Durchführung dieser Arbeiten eine Genehmigung vorliegen wird. Ansonsten würde entweder mit erheblichen Kosten für den Bauherrn die Baustelle stillstehen oder es müsste (wenn der Bauherr diese Kostenmehrung durch Weiterbauen ohne Baugenehmigung zu vermeiden versucht) eine Baueinstellung verfügt werden. Diese ist deshalb zwingend, weil im nächsten Schritt die Fundamente eingebaut werden. Die Dimensionierung der Fundamente kann aber erst nach Vorliegen der Prüfstatik von uns kontrolliert werden. Sind sie erst einmal eingebaut, dann kann ihre Dimensionierung nur noch eingeschränkt geprüft werden. Der Unterschied des vorliegenden Projekts liegt insofern darin, dass der Umfang der Erdarbeiten aufgrund des hängigen Geländes und der großen zusammenhängenden Fläche, die auf ein einheitliches Niveau gebracht werden soll, einen erheblichen Zeitbedarf verursacht und deshalb auch erheblich vor der geplanten Erteilung der Baugenehmigung begonnen werden darf. Bei einer „üblichen“ Projektgröße sind die vorlaufenden Erdarbeiten innerhalb von  einer bis zwei Wochen erledigt, so dass die Freigabe für Erdarbeiten auch erst eine bis zwei Wochen vor dem voraussichtlichen Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung erfolgt. 

Bei einem (früheren) Bauvorhaben (in den Waldäcken)  wurden beispielsweise die Erdarbeiten zwei Wochen vor Freigabe der Fundamentarbeiten freigegeben. Diese wurden wiederum drei Wochen vor Erteilung der eigentlichen Baugenehmigung freigegeben, weil die Prüfstatik bereits vorlag, aber noch andere Fragen zu klären waren. Der Bauherr konnte auf diesem Weg sein Verfahren um fünf Wochen beschleunigen. Sollten andere gewerbliche Projekte einen längeren Vorlauf gehabt haben, lag dies überwiegend an unvollständigen Unterlagen, an noch zu klärenden Grundstücksangelegenheiten oder anderen Rahmenbedingungen außerhalb des Baurechts, die noch nicht erfüllt waren.

Die Bearbeitung dieses Projekts (von Thyssenkrupp) ist von Seiten des Bauherrn und seiner Planungsbüros allerdings in hohem Maße professionell, so dass durch diese Seite kaum Verzögerungen entstehen. Eine Ungleichbehandlung kann daraus nicht abgeleitet werden."

Soweit Abicht mit seiner, wie ich meine, schlüssigen Argumentation. Der Glücksfall "Thyssenkrupp-Ansiedlung in Mühlacker" bekam jedoch inzwischen von ganz anderer Seite einen Kratzer: Die Firma Ziegler Arbeitsschutz sieht keine Erweiterungsmöglickeiten in Mühlacker und zieht von den Waldäckern ganz nach Vaihingen um. Die Rechnung, die nun in der Öffentlichkeit aufgemacht wird: 85 Jobs von Thyssenkrupp neu, 90 von Ziegler weg. Doch Ziegler will seine Immobilie in den Waldäckern vermarkten. Erwerber/Mieter könnte eine neue Firma sein - mit Arbeitsplätzen. Und schon muss die Gewinn-Verlust-Rechnung neu geschrieben  werden. Nichtsdestotrotz: Einen Betrieb zu verlieren, kommt für eine Kommune nicht gut an. Selbst bei jenen nicht, die gegen die Ausweisung eines neuen größeren Gewerbegebiets in Mühlacker sind. Zurecht wird aber nun drängend die Frage gestellt, ob die Stadt wenigstens eine Flächenreserve für eventuell entstehenden Bedarf örtlicher Unternehmen vorhalten oder auch noch den letzten Quadratmeter an Auswärtige verkaufen soll. Die Nagelprobe steht in den Tagen nach Ostern an.

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