Nur mal so quergefragt




120 Besucher im Uhlandbau

Nur einmal quergefragt im Vorfeld des Bürgerentscheids am ersten Adventssonntag über ein neues Gewerbegebiet in Mühlacker.


Schließen sich eine lebenswerte Stadt und Arbeitsplätze in einem neuen Gewerbegebiet aus? Ja, meinen offenbar die Gegner, denn ihr Slogan "Für ein lebenswertes Mühlacker" steht in ihrem Flyer außen drauf - und innen wird ausschließlich gegen das Projekt argumentiert. Ich dachte bisher, Job und Einkommen seien Teil von Lebensqualität, die eine Gemeinde lebenswert macht. Überhaupt: Was bei den Gegnern zählt, sind nur die Arbeitsplätze in der Landwirtschaft, andere Branchen werden ausgeklammert. Machen produzierende Firmen eine Stadt unattraktiv? (Update: Dazu siehe Kommentar)

Ist ein Bürgerentscheid ein Beleg für die Unfähigkeit des Gemeinderates? Ja. das zumindest  lässt sich aus dem dreiseitigen Brief  ableiten, den die Industrie- und Handelskammer Nordschwarzwald (IHK) an ihre Mitgliedsfirmen in Mühlacker geschrieben hat. Sie wirbt darin für ein Ja zu einem neuen Gewerbegebiet beim Bürgerentscheid am 27. November, den der Gemeinderat mit den Stimmen von CDU, SPD und LMU auf den Weg gebracht hat. Die Kammer führt dies als Beleg dafür an, dass der Gemeinderat sich in dieser Frage nicht entscheidungsfähig gesehen habe. Auf die Idee, eine wichtige Frage der Stadtentwicklung dem Bürger als Souverän vorzulegen, der mit den Folgen leben muss, kommt den IHK-Oberen nicht in den Sinn. Bürgerbeteiligungsmäßig nicht auf der Höhe der Zeit?

Ein entschiedenes Sowohl-als-auch? Wer die Stellungnahme des DGB Pforzheim/Enzkreis liest (MT vom 12. November, Seite 14), bleibt ratlos zurück. Ist der regionale Gewerkschaftsbund nun für ein Ja oder ein Nein beim Bürgerentscheid? Prinzipiell sei er für ein neues Gewerbegebiet in Mühlacker, aber nicht um jeden Preis. Für "gute" Arbeitsplätze schon. Muss die Stadt vor der Vergabe eines Bauplatzes ein Unternehmen dem Tarif-Test unterziehen, denn die Unternehmen müssten tarifgebunden und -treu sein?

Ja, wie viel waren es nun? Zur Informationsveranstaltung der Stadt am vergangenen Mittwoch im Uhlandbau ließ die Stadtverwaltung 370 Stühle stellen. Städtische Mitarbeiter zählten durch und kamen auf 120 besetzte Stühle. Die Lokalzeitungen schrieben von 200 Besuchern. Sei's drum. zu wenig auf jeden Fall. Flopt der Bürgerentscheid? Dann würde doch der Gemeinderat entscheiden. Nach rein sachlichen Abwägungskriterien?

Grundsatzfragen nicht jedermanns Sache? Die Kritik, man hätte nicht den grundsätzlichen Bedarf an einem 25 Hektar großen Gewerbegebiet zum Inhalt des Bürgerentscheids machen dürfen, sondern einen konkreten Standort, ist die Frage, was zuerst da war: die Henne oder das Ei? Wäre nicht bei einem Bürgerentscheid über einen Standort gleich die grundsätzliche Frage nach dem Bedarf gestellt worden, zu beantworten bittschön schon vorher?


Was brachte das jetzt fast belegte Gewerbe- und Industriegebiet Waldäcker? Mehr als 30 Unternehmen mit 1500 Arbeitsplätzen. Und die Bilanz für die Stadt? In der Gemeinderatsvorlage 23/47/97 aus 1997 werden die voraussichtlichen beitragsfähigen Kosten von Grunderwerb, Erschließung, Begrünung etc. von 30,58 Hektar GE/GI Waldäcker mit 7.474.220 DM angegeben (10 % als Anteil der Stadt). Vorfinanzierungskosten werden nicht beziffert, nicht beitragsfähige Kosten auch nicht. Die Zahl war Basis der Festlegung der Verkaufspreise. Die Stadtverwaltung müsste doch Aufwand und Erlöse nach 19 Jahren bilanzieren können - und gleichzeitig den prozentualen Anteil der Firmen in den Waldäckern am Gewerbesteueraufkommen von 10 Millionen Euro benennen. Ob sie das rechtzeitig vor dem Abstimmungstag zustande bringt?

Können wir uns ein neues Gewerbegebiet überhaupt leisten? Grunderwerb, Erschließung etc. gibt es nicht umsonst. Zumindest vorfinanzieren muss dies die Kommune - neben anderen kostenträchtigen Aufgaben wie Neubau von Feuerwache, Erweiterung des Bildungszentrums im Lindach, Stadthalle, Gebäudesanierungen, Betreuungseinrichtungen. Ob es darauf noch Antworten aus dem Rathaus gibt?

Wo wären wir als Kommune ohne Gewerbesteuereinnahmen? 10 Millionen Euro 2016. Abzüglich Umlagen. Eine Beispielrechnung ist fällig. Ist sie zu erwarten?

Produziert die Landwirtschaft nur für uns? Eine bekennende Nein-Sagerin begründete am Mittwoch im Uhlandbau ihre ablehnende Haltung zu einem neuen Gewerbegebiet damit, dass schon jetzt die landwirtschaftliche Produktion im Ländle nicht ausreiche, um die Bevölkerung Baden-Württembergs zu ernähren. Wirklich? Baden-Württembergs Agrarier erzielten im Jahr 2014 Exporterlöse in Rekordhöhe. Nach vorläufigen Ergebnissen wurden Güter im Wert von 181,4 Mrd. Euro ausgeführt; das entsprach nach Angaben des Statistischen Landesamtes Baden?Württemberg einer Steigerung von 4,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Produktionen für den Hofladen, Edeka, aber auch für China?

Nur mal so quergefragt.

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Joachim Stretz am :

Hallo Herr Bächle,

als eifriger Leser Ihres Weblogs möchte ich Ihnen zu Ihrem jüngsten Artikel zum Thema Bürgerentscheid ein paar Sätze schreiben: Sie schreiben darin: "Schließen sich eine lebenswerte Stadt und Arbeitsplätze in einem neuen Gewerbegebiet aus? Ja, meinen offenbar die Gegner, denn ihr Slogan "Für ein lebenswertes Mühlacker" steht in ihrem Flyer außen drauf - und innen wird ausschließlich gegen das Projekt argumentiert. Ich dachte bisher, Job und Einkommen seien Teil von Lebensqualität, die eine Gemeinde lebenswert macht. Überhaupt: Was bei den Gegnern zählt, sind nur die Arbeitsplätze in der Landwirtschaft, andere Branchen werden ausgeklammert. Machen produzierende Firmen eine Stadt unattraktiv?"
Nicht fair ist es, wenn Sie schreiben, dass die "Gegner"argumentieren würden, eine lebenswerte Stadt und Arbeitsplätze würden sich ausschließen. Auch kann ich nirgendwo die Aussage entdecken, dass produzierendes Gewerbe die Stadt unattraktiv machen würde.
Selbstverständlich wollen auch wir Arbeitsplätze, eine Stadt mit "blühenden Landschaften", was ja Gewerbe nicht ausschließt.
Die verschiedenen Gruppierungen, die sich in der Aktionsgemeinschaft zusammen geschlossen haben, sind - das ist richtig dargestellt- gegen eine Ausweisung von 25 ha an den beiden alternativen Standorten. Wir wollen eine Existensgrundlage für unsere Bauern, eine regionale Versorgung (auch in Krisenseiten, die vielleicht schneller kommen werden, wie wir es uns heute vorstellen wollen) und den Erhalt des Landschaftsbildes. Können Sie sich persönlich vorstellen, dienstags nach der GR-Sitzung, bevor Sie in Ihr liebenswertes Lienzingen fahren, an einem hell beleuchteten Gewerbegebiet vorbei zu fahren? Wollen Sie das erste, was man von Mühlacker sieht, wenn man von Illingen her fährt, ein beidseitiges Gewerbegebiet ist (wo jetzt zumindest links noch schöne Landschaft einlädt und rechts die Waldäcker durch einen Grünzug abgemildert ist)?
Wenn Sie sich bei den ortsansässigen Gewerbebetrieben umsehen, wie viel Platz für Verkehrsflächen (Parkplätze, Rangierflächen, Leerstände usw.) vergeudet ist, wäre noch viel Potential vorhanden. Auch die IHK weist in Ihrer Glanzbroschüre darauf hin, wie man platzsparend Gewerbe entwickeln kann. Aber darauf angesprochen wird dann anführt, dass dies natürlich um der "Wettbewerbsfähigkeit" willen wegen höherer Kosten kaum verwirklicht wird (im persönlichen Gespräch mit Herrn Wexel von der IHK nach der Veranstaltung im Uhlandbau so kommuniziert). Und so lange wir immer wieder dem "Druck" nachgeben, werden wir weiter diesem Flächenfraß Vorschub leisten und das Gewerbe nicht dazu zwingen, die Vorgaben platzsparend zu bauen. Das Totschlagargument, die örtlichen Betriebe würden dann notgedrungen (in Scharen?) Mühlacker verlassen, kann nicht belegt werden. Ein gut funktionierender Betrieb mit einer entsprechenden motivierten Belegschaft wird doch einen Teufel tun und seinen Standort einfach aufgeben.
Nach den "Waldäckern II" kommt in vielleicht 15 Jahren dann die Hardt aufs Tablett (oder umgekehrt). Wir Beide werden dann vielleicht nicht mehr leben, aber unsere Nachkommen müssen erkennen, dass die besten Böden versiegelt und Bauern ihrer Existens beraubt wurden und die Stadt noch mehr verschuldet ist, weil sich vielleicht die Investitionen erst in vielen Jahren amortisieren werden. Wollen Sie das?
Ich habe großen Respekt vor anderen Meinungen (solange sachlich diskutiert wird), davon lebt die Demokratie und ich bin froh, dass der GR sich mehrheitlich für das Bürgerbegehren ausgesprochen hat. Aber dass sich z.B. ein Schulleiter mit seiner Funktion trotz der politischen Mäßigungspflicht in der GHV-Broschüre zu Wort äußert oder unser Geschäftsführer der Stadtwerke (die sich im übrigen gerne mit Wasserkraft, Biogasanlage, Solardächer und Windparkbeteiligungen gerne ein grünes Mäntelchen geben) offen auf der Internetseite der Stadtwerke für ein Ja motiviert, hat schon ein "Gschmäckle". Denkt er dabei auch an die vielen BürgerInnen, die von den Stadtwreken alternativen Strom und Gas beziehen?
In den 70er Jahren war ein Autoaufkleber bei den Studenten beliebt mit dem Inhalt: „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet Ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“ Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

Schöne Grüße
Joachim Stretz
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