90 Flüchtlinge im Göbricher Großzelt - ein Besuch



Informations- und Meinungsaustausch bei dem eineinhalbstündigen Fraktionsbesuch.


Kein Flüchtlingstourismus, auch keine Asylantenbesichtigung. Doch auch wenn die vorläufige Unterbringung von Asylsuchenden eine staatliche Aufgabe ist und somit der staatliche Teil des Landratsamtes im Auftrag des Landes Baden-Württemberg handelt: Die Suche nach den vier Wänden und einem  Dach überm Kopf, die Folgen für die Infrastruktur wie Schulen und Kindergärten haben längst die Kreis- und Kommunalpolitik erreicht. Da ist es sinnvoll, Flüchtlingsunterkünfte nicht nur aus der Zeitung zu kennen. Zusammen mit der CDU-Fraktion im Kreistag informierte ich mich gestern in Neulingen-Göbrichen über eine Unterkunft, die aus einem Großraumzelt sowie mehreren Funktionscontainern besteht. Dort leben derzeit 90 Menschen aus fünf Ländern, vor allem Syrer, Irakis und Afghanen, vor allem Familien. Sozialdezernentin Katja Kreeb, Neulingens Bürgermeister Michael Schmidt und Mitarbeiter des ehrenamtlichen Betreuerkreises waren Gesprächspartner. 


Im Zelt ist es warm, frieren muss niemand, trotzdem ist es eine Notlösung. Im Zelt trennen Bauzäune, mit blickdichter und feuerfester Plane oder Folie bespannt, jeweils Wohnbereiche von vier auf vier Meter ab. Eine syrische Familie lässt uns hinter die dicke Folie blicken, der Vater ist sehr freundlich, aber ein Gespräch mit ihm und seiner Frau scheitert an passenden Sprachkenntnissen. Die Kinder stellen  ihr Plüschpferd auf den Spind, so dass es nach draußen auf den Gang blickt, der das Großraumzelt teilt, denn die Wohnparzellen sind nach oben offen. Freie Sicht auf das innere Zeltdach. Einer der Container vor dem Zelt ist für die wöchentliche Arztsprechstunde reserviert - in der Gesundheitsbetreuung der Flüchtlinge gilt der Enzkreis als Vorreiter. In einem anderen Container stehen Waschmaschinen. Gegessen wird in der benachbarten Büchighalle. Heute steht Gänsebraten auf dem Speisenplan. "Ein gutes Essen baut den Frust ab", sagt der Wirt der Vereinsgaststätte, der die Verpflegung übernommen hat, unterstützt von ehrenamtlichen Kräften bei der Essensausgabe. Den ganzen Tag zwischen Planen, keine Arbeit, immer auf engstem Raum, unklare Perspektiven - wer wäre da nicht öfters frustriert? Trotz dem Wissen, nun in Frieden leben zu können.


Vergessen wir nicht die Ursachen der Wanderungsbewegung aus dem Nahen Osten nach Euro. Die neuesten Nachrichten aus der syrischen Stadt Aleppo sind erschreckend, treiben die Menschen auf die Flucht. Seehofer-Freund Putin lässt Bomben auf Zivilisten abwerfen. Wann werden die ersten dieser Syrier in Deutschland um Asyl nachsuchen, dem Land, in dem just CSU-Chef Seehofer Obergrenzen der Flüchtlingszahlen fordert? Was schreibt der Bayer in seinem Dankesbrief für den Besuch in Moskau und die Nettigkeiten von Putin?

Zurück nach Göbrichen: Einen 24-Stunden-Sicherheitsdienst kann auch dazu beitragen, Konflikte rechtzeitig zu entschärfen. Der Enzkreis muss für seine Flüchtlingsunterkünfte mehr Hausmeister und Heimleiter anstellen, kündigt die Sozialdezernentin im Gespräch mit der Fraktion an. Dafür finde man auch noch geeignete Leute. Dagegen bekomme man für die vom Kreistag schon bewilligten zusätzlichen Stellen für Sozialpädagogen und Verwaltungsmitarbeiter für den Asylbereich nur schwer Personal. Der Arbeitsmarkt sei wie leergefegt.



Weiß in weiß: im Großzelt.

Die starke Belastung lasse sich aber nur auf Zeit tragen, signalisiert Kreeb. Das könne kein Dauerzustand sein. Auch die etwa 100 Ehrenamtlichen in Deutsch-Kursen, beim Fahrdienst, in der Kleiderkammer, bei der Essensausgabe und im Fahrdienst berichten, man stoße an Grenzen. Wenn noch mehr Flüchtlinge kämen, bräuchte man auch mehr Ehrenamtliche, wobei Bürgermeister Schmidt sagt, schon jetzt gäbe es in Neulingen in gutes Netzwerk von Helfern. „Whatsapp leistet  gute Kommunikationsdienste.“ Die Sozialdezernentin kündigt an, die Betreuung von größeren Unterkünften wie jetzt in einer ehemaligen Fabrik in Remchingen-Darmsbach darauf spezialisierten Firmen zu übertragen. Da der Verein miteinanderleben in der Sozialbetreuung inzwischen überfordert sei, werde der Enzkreis in mehrere Bezirke eingeteilt, für die andere Wohlfahrtsverbände für die Betreuungsarbeit gesucht würden.
Wenn die Zuweisungen zahlenmäßig so weiter gehen wie jetzt, müsse der Enzkreis 2016 mit fast 5000 zusätzlichen Asylbewerbern rechnen, so Kreeb. Derzeit kämen fast nur Familien, darüber sei man nicht unglücklich. Zwar sei die Zahl der monatlich ankommenden Flüchtlinge im Enzkreis etwa zurückgegangen, dafür  seien aber etwa 30 unbegleitete Jugendliche zusätzliche unterzubringen, so dass es doch 300 Personen im Monat seien. 200 Flüchtlinge seien inzwischen anerkannt. Der Wohnungsmarkt sei ausgereizt. Familien stellten  die Städte und Gemeinden über kurz oder lang vor das Problem der Integration in Kindertagesstätten und Schule, ohne jetzt den zusätzlichen Bedarf verlässlich abschätzen zu können. Dieser Mehrbedarf dürfe auch nicht auf Kosten der einheimischen Familien gehen, sagt Bürgermeister Schmidt. Eine Bevorzugung von Flüchtlingskindern könne es nicht geben.
Auch wenn der Organisationsgrad im Kreis täglich besser wird, stellt Katja Kreeb auch klar, dass es so nicht weitergehen könne: "2015 haben bereits mehr als 2000 eintreffende Menschen Kreis und Gemeinden bereits bis aufs Äußerste belastet.“ Neben den zunehmend schwieriger werdenden Bemühungen, Wohnraum, Freiflächen und Betreuungspersonal zu finden, explodiere der Finanzbedarf des Kreises und seiner Kommunen.
Die Politik ist gefordert, die Flüchtlingszahlen zu reduzieren, doch die Kanzlerin scheint mehr oder minder abgetaucht zu sein, der jetzt neue Streit in der Großen Koalition um das Asylgesetzpaket II ist erschreckend und weckt kein Vertrauen. Andererseits: Man muss die Menschen sehen und die Probleme lösen. Ein Spagat. Leider gebe es eine kleine Minderheit von Flüchtlingen, die sich mehr oder weniger integrationsunwillig zeigten, sagen Kreeb und die Ehrenamtlichen. Die Dezernentin: „Diese Gruppe bindet die meiste Kapazität.“ Ich meine: Deren Bleibeaussichten gehören rasch verkürzt. Auch das wird bei dem Besuch in Göbrichen ganz klar. 

Trackbacks

Trackback-URL für diesen Eintrag

Kommentare

Ansicht der Kommentare: Linear | Verschachtelt

Noch keine Kommentare

Kommentar schreiben

Kommentare werden erst nach redaktioneller Prüfung freigeschaltet!


Um maschinelle und automatische Übertragung von Spamkommentaren zu verhindern, bitte die Zeichenfolge im dargestellten Bild in der Eingabemaske eintragen. Nur wenn die Zeichenfolge richtig eingegeben wurde, kann der Kommentar angenommen werden. Bitte beachten Sie, dass Ihr Browser Cookies unterstützen muss, um dieses Verfahren anzuwenden.
CAPTCHA

Umschließende Sterne heben ein Wort hervor (*wort*), per _wort_ kann ein Wort unterstrichen werden.
Standard-Text Smilies wie :-) und ;-) werden zu Bildern konvertiert.