"Eines hieß Aufbau, ein anderes Volksbildung"

In der Vorbereitung auf mein Grußwort als ehrenamtlicher Stellvertreter des Oberbürgermeisters heute Abend zum 90-Jahr-Jubiläum des Obst- und Gartenbauvereins Mühlacker habe ich in dem Buch „Unser Dürrmenz-Mühlacker“ von Karl Knöller geblättert. Es war 1927 erschienen, wurde vor einigen Jahren als Faksimiledruck vom Verlag Elser (Mühlacker) neu aufgelegt und beschreibt auch die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg. Es war die Zeit der unstabilen politischen Verhältnisse, der wirtschaftlichen Probleme, die Zeit der heraufziehenden Inflation. In dieser Zeit kamen Kriegsgefangene zurück: am 10. Januar 1920 trafen die ersten aus Frankreich am Bahnhof Mühlacker ein. Die Frau des württembergischen Staatspräsidenten Blos war zur Landesgrenze gefahren, um die Männer zu begrüßen.

Knöller beschreibt die Zeit nach dem Umsturz, wie er den Wechsel zur noch jungen ersten deutschen Republik nannte, als eine von Schlagwörtern beherrschte Zeit. Zitat:


Eines hieß Aufbau, ein anderes Volksbildung, Im Zusammenhang damit stand allerlei organisatorisches Beginnen: das Handwerk baute seine Innungen aus, die Vereine rührten die Werbetrommel, das Genossenschaftswesen entwickelte sich stärker, politische, wirtschaftliche, soziale, kirchliche Bewegungen wurden in Ortsgruppen zusammengeschlossen.

1920 war demnach ein gründungsreiches Jahr. Am 27. Juli bildete sich der landwirtschaftliche Ortsverein, im September eine Gruppe des Reichsbundes der Kriegsbeschädigten, im November eine Ortsgruppe des Evangelischen Volksbundes. Die Volksbildung begann, indem die Gemeinde von Januar bis März 1920 Winterkurse in vier Abteilungen anbot.

Es war eine schwere Zeit, in der sich eines bewahrheitete: Wenn es den Menschen nicht so gut geht, suchen sie den Zusammenhalt, das Gemeinsame, das Solidarische.

Das erkannte wohl auch der erst seit gut einem Jahr im Amt befindliche Stadtschultheiß Richard Woerner,  der auf den plötzlich verstorbenen Ernst Händle folgte. „Ein Wahlkampf war der Bürgerschaft erspart geblieben“, schreibt Knöller. Denn es habe nur diesen einen Kandidaten gegeben. Bei seiner Amtseinsetzung sei ausgesprochen worden, was redliches Wollen, tüchtiges Können, fleißiges Arbeiten  zu leisten vermöge - das werde geschehen.

Geschehen  ist 1920 die Gründung des Obst- und Gartenbauvereins durch Bürgermeister Woerner. Es war sicherlich eine gute Tat, auch die Kenntnisse über Obst- und Gartenbau im Verein weiterzugeben, die Freude an der Natur zu pflegen, aber auch den Obst- und Gartenbau als Nahrungsquelle zu sehen. In dem Buch von Knöller heißt es, im Sommer 1920 entstanden große Ernährungsschwierigkeiten für die nichtbäuerlichen Verbraucher.

Allgemein leistet der Verein über all die Jahrzehnte eine wichtige Arbeit durch die Information der Bevölkerung (Winter- und Sommerschnittkurse, auch für Kinder, seit sieben Jahren separat für Frauen - womit eine Vorreiterrolle im Land eingenommen wurde). Es gibt  Veredelungskurse oder Hinweise über die örtlichen Medien. So wurde der Vorsitzende Jürgen Metzger gefragt, was man gegen Schnecken tun könne, er gab Tipps zur Veredelung oder zu den Ernteerwartungen, diese Woche erst wie der Garten fit für den Winter gemacht werden kann.


Der OGV sucht auch Kooperationen. So ging er schon in die Schule zum Apfelsaftherstellen (2006 Heidenwäldleschule).

Schüler (auch schon Vorschulkinder aus Dürrmenz) besuchen mehrmals im Jahr den Lehrgarten des Vereins und können die Entwicklung von Bäumen und Obst verfolgen. Hier gibt es auch einen besonderen Berührungspunkt mit der Stadt: Das rund 10 Ar große Gelände hat die Stadt in Erbpacht überlassen. Vereinsheim wurde 1994/95 gebaut zum 75-Jahr-Jubiläum mit viel Eigenleistungen fertiggestellt. Im März 1993 wird der damalige Vorsitzende Franz Glöggler zitiert, dass mit dem Grundstücksangebot der Stadt ein langes Ringen mit der Stadtverwaltung, aber auch mit dem Naturschutz wohl ein Ende gefunden habe.



Wir haben in unserer Stadt fünf Obst- und Gartenbauvereine. Das zeigt die Vielfalt. Die Vereine treten für die Erhaltung der Gartenkultur und die Pflege der Kulturlandschaft ein. Gerade in unserer globalen Welt des immer Größer und immer Weiter ist es besonders wichtig, das zu pflegen, was Herz und Verstand anspricht: die Natur. Bundesweit sind derzeit mehr als 220.000 Menschen in mehr als 2000 Vereinen aktiv.



In Mühlacker bietet sich den Obst- und Gartenbauvereinen, besonders dem OGV in der Kernstadt mit einem starken Dürrmenzer Stamm die Chance, sich in Vorbereitung und Planung des Grünprojekts, der kleinen Gartenschau an der Enz einzubringen. Diese Aufgabe liegt den OGVs sicherlich am Herzen. Mitte November beschäftigt sich der Gemeinderat in einer Klausurtagung mit dem Rahmen, dann soll die Bürgerbeteiligung starten. Machen Sie mit! Bringen Sie sich ein! 2015 ist schnell erreicht. Das Grünprojekt muss ein Projekt der gesamten Bürgerschaft werden.

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