Lienzingen oder So schön wie im Reiseführer von 1975

Aus der Pforzheimer Zeitung, Ausgabe Mühlacker, vom 9. Dezember 2006:

Dorf soll zum Glanzstück werden
Herausforderung für die Planer der Sanierung: Im Ortskern von Lienzingen stehen allein 68 Gebäude unter Denkmalschutz
MÜHLACKER-LIENZINGEN. Mit einer Millionenspritze will Mühlacker den Ortskern von Lienzingen zu einem städtebaulichen Juwel im gesamten Südwesten machen. Das
älteste Wohnhaus von Nordbaden ist dort zu finden.

„Im Reiseführer des Jahres 1975 wurde unser Ortskern als Perle des Unterlandes beschrieben“, formulierte CDU-Fraktionschef Günter Bächle für sein Heimatdorf neue Ziele.

Es gehe darum, die „schönen fränkischen Hofanlagen“ zu restaurieren und zu neuem Leben zu erwecken. Als Vorbild kann die Sanierung des „Nachtwächter-Komplexes“ dienen. Das Fachwerk-Gebäude sei mehr als 500 Jahre alt. Die Wohnhäuser rund um die Wehrkirche mit ihren Gaden von 1360 sind nach den Angaben der Sanierungs-Experten ebenso im 14. Jahrhundert entstanden. „Eine ausreichende Zahl an Parkplätzen muss aber zur Verfügung stehen“, mahnte Bächle an. Überraschend saß Rolf Leo, der Fraktionschef der Freien Wähler aus Dürrmenz, am Abend in Lienzingen unter den 50 Zuhörern in der letzten Reihe. „Die jungen Familien müssen in die Ortskerne zurückkehren können“, lautete sein Credo.

Derweil munterte Bürgermeister Pisch das Publikum nach Kräften auf. „Jetzt geht es richtig los. Private Bauherren können bis zu 30 Prozent an Förderung erwarten, für den Denkmalschutz kommen zehn Prozent drauf“, pries er die staatlichen Zuschüsse wie ein Losverkäufer an. Die Verwaltung muss mit aller Kraft mobilisieren: Fast 39 Prozent der 473 Bewohner im Sanierungsbereich sind ausländischer Herkunft. Die Familien könnten weniger Interesse an der Instandhaltung ihrer Wohngebäude haben.

Modell-Projekte aus Dürrmenz

Projektleiter Albrecht Pfaff von der Kommunalentwicklung stellte bereits mehrere fertig gestellte Sanierungsprojekte aus Dürrmenz vor. So seien Scheunen in Wohnungen umgewandelt worden. „Alte Häuser mit Fensterläden sind zum Schmuckstück geworden“, erläuterte Pfaff. In Großglattbach sei das Wohnen mehrerer Generationen auf einem Grundstück ermöglicht worden. Die Umgestaltung der Scheunen soll in Lienzingen zum Schwerpunkt werden. Mühlackers Stadtbaumeister Winfried Abicht sagte zur PZ, im Landesetat seien vier Millionen Euro an Fördergelder für die vier laufenden Sanierungsprojekte in Mühlacker (Dürrmenz, Großglattbach, Kernstadt und Lienzingen) reserviert. 550 000 Euro will die Kommune 2007 privaten Sanierern als Zuschüsse zur Verfügung stellen. Zwei Maßnahmen sind laut Abicht in Lienzingen schon angelaufen, über weitere vier Projekte wird verhandelt.
Erstellt von: Horst Pieper

Übrigens: Der Reiseführer heißt "Am Neckar und am Rhein", Autor Franz Prinz zu Sayn-Wittgenstein, 2. überarbeitete Auflage 1975, Prestel-Verlag in München

Der Förderrahmen für Lienzingen beträgt 1,6 Millionen Euro. Eine Million kommt vom Land Baden-Württemberg, 600.000 Euro von der Stadt

Hier der Beitrag über Lienzingen auf der Internet-Seite der Stadt:


Die Siedlungsgeschichte Lienzingens erstreckt sich über mehr als 2000 Jahre. Gräberfunde aus Früheisenzeit und La-Tène-Zeit legen davon Zeugnis ab. Auch die Befestigungen der Alten Burg, die durch Kelten in den letzten Jahrhunderten vor der Zeitenwende angelegt wurden, sind ein Ausdruck der langen siedlungsgeschichtlichen Kontinuität unserer Heimat. Um das Jahr 85 n. Chr. kamen die Römer in unsere Gegend und legten mehrere Gutshöfe an. Aus dieser Zeit wurden zahlreiche Scherben und ein Relief der Diana gefunden. Schließlich wurden die Römer gegen Ende des 3. Jahrhunderts von den Alemannen überrannt, die eine Siedlung gründeten, aus der das heutige Lienzingen hervorgegangen ist. Daß diese Gründung schon lange Zeit vor der ersten urkundlichen Erwähnung des Ortes liegt, können wir aus dem alemannischen Ortsnamen ersehen, der in etwa bedeutet: "Bei den Leuten des Luizi".

Nach der Schlacht bei Zulpich im Jahre 496 geriet Lienzingen, wie fast das ganze alemannische Gebiet, unter fränkische Herrschaft. Die erste urkundliche Erwähnung des Dorfes als Laizhingen (auch fränkische Schreibweise Letzenheim oder Lentzencheim bekannt) stammt aus dem Jahre 766 und betrifft Schenkungen an das Kloster Lorsch in der Markung Lienzingen. Neben verschiedenen Klöstern waren Adelsgeschlechter wie die Freiherrn von Enzberg und von Roßwag in Lienzingen begütert. Nach und nach nahm jedoch der Besitz der beiden Klöster Sinsheim und Maulbronn eine größere Bedeutung an. Aus dem Jahre 1100 stammt die erste Beurkundung einer Pfarrkirche in Lienzingen, die in diesem Jahr dem Kloster Sinsheim übereignet wurde, woraus man schließen kann, daß sie schon einige Zeit früher existierte.

Peterskirche mit erstem Schulhaus in Lienzingen Während des Mittelalters war der Ort wegen seiner exponierten Lage an einer Durchgangsstraße wohl oft Zeuge des Kriegsgeschehens, so in den Streitigkeiten zwischen der Pfalz und Württemberg vom 13. bis zum 16. Jahrhundert um die Oberherrschaft über das Kloster Maulbronn. Die Auseinandersetzungen nahmen solche Ausmaße an, daß die Einwohner des Ortes Schutzanlagen in Form der befestigten Kirche errichteten. Mehrmals wechselte in dieser Zeit die Herrschaft, aber schließlich blieb das Kloster und damit auch Lienzingen in württembergischem Besitz. Nach Jahrhunderten der Not und einer ständig wachsenden Unterdrückung durch geistliche und weltliche Herren erhoben sich die Bauern und wurden 1525 von den Fürsten blutig niedergeschlagen. Auch die folgenden Jahrhunderte brachten viele Kriegsnöte, so etwa im Dreißigjährigen Krieg von 1618-1648, als Lienzingen stark unter Plünderungen und Kontributionen zu leiden hatte. Später, während der Raubkriege Frankreichs, wurde das Dorf mehrmals geplündert und im Jahre 1692 von der Soldateska niedergebrannt. Erst nach den Revolutions- und den napoleonischen Kriegen kehrte eine längere Zeit der Ruhe in unserer Heimat ein.

Über Jahrhunderte hinweg bildete die Landwirtschaft die erste Erwerbsquelle der Lienzinger. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts konnte sie jedoch nicht allen Einwohnern eine ausreichende Lebensgrundlage bieten, so daß viele Lienzinger ihr Glück in der Ferne suchten, vor allem in Nordamerika. Erst mit der Ablösung der feudalen Lasten besserte sich die Lage der Bauern etwas.

Da der Plan, Lienzingen noch im 19. Jahrhundert an die Eisenbahn anzuschließen, scheiterte, blieb der dörfliche Charakter ohne größere Industrieansiedlungen bis in die Gegenwart erhalten, auch wenn durch die zahlreichen Neubürger in den neuen Baugebieten die Landwirtschaft ihre einstige Bedeutung längst verloren hat. In den 60er Jahren unseres Jahrhunderts konnte die Gemeinde - nicht zuletzt durch einen lukrativen Waldflächentausch mit der Stadt Mühlacker - so ehrgeizige Projekte wie neues Schulhaus, Kindergarten und Mehrzweckhalle verwirklichen.

Im Zuge der Kommunalreform wurde Lienzingen auf Beschluß des Staatsgerichtshofes im Mai 1975 ein Stadtteil von Mühlacker. Doch der Verlust der Selbständigkeit bedeutete nicht das Ende von Entwicklungen. Neue Wohngebiete wie Neuwiesen und Vordere Rait wurden seitdem bebaut und vergrößerten den Ort auf 2270 Einwohner im Jahr 1998. Vorbildliche Sanierungsmaßnahmen galten den Kirchengaden und den schönen Fachwerkhäusern in der Knittlinger Straße. Das Gasthaus "Nachtwächter" erhielt sogar den Denkmalschutzpreis Baden-Württemberg. Auf kulturellem Gebiet ragen die Konzerte des "Musikalischen Sommers" in der Frauenkirche hervor. Lienzingen liegt an der Weinstraße Kraichgau-Stromberg.


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