Die vertane Chance




Jede Stimme zählt - doch es fehlt an Stimmen

"Die Entscheidung des Stadtrats ist schon gefallen. Ob sie sich mit der Meinung der Bürger deckt, ist spätestens heute in Frage zu stellen", kommentiert ein früherer Stadtrat der Freien Wähler nach dem Scheitern des heutigen Bürgerentscheids Gewerbegebiet auf Facebook. Mein Sohn sagt mir, der Gemeinderat sei moralisch verpflichtet, das Nein der Mehrheit der 6157 Menschen umzusetzen, die tatsächlich ihre Stimme abgegeben haben. 32,16 Prozent der 19145 Wahlberechtigten machten ihr Kreuz. Nicht einmal jeder Dritte. Die Gegner gewannen die Mehrheit mit 3615 Stimmen, doch das sind nur 18,88 Prozent aller Wahlberechtigten - 20 Prozent hätten es mindestens sein müssen. Zu diesem Quorum fehlten 214 Stimmen. Für ein Gewerbegebiet waren 2518 Wähler, somit lediglich 13,15 Prozent der Wahlberechtigten. 


Wenn in der Kernstadt von 9800 Wahlberechtigten, ohne Briefwähler, nur 2400 abstimmen, kann ein neues Gewerbegebiet nicht so wichtig sein wie Gemeinderat und Stadtverwaltung angenommen haben. Lediglich in zwei der 16 Stimmlokale (Kindergarten Zeppelinstraße, Hartfeldschule Enzberg) sowie in einem der zwei Briefwahlausschüsse gab es eine Mehrheit für ein Gewerbegebiet. Das Quorum erreichten die Gegner in Lienzingen (28,23 Prozent) Mühlhausen (37,67 Prozent) und in Lomersheim (22,13 Prozent) - damit in Stadtteilen, die von einem der diskutierten Standorte betroffen wären. Der heute Abend vernommene Ruf nach einem Kompromiss wird verpuffen. Ich sehe im Moment kein neues Gewerbegebiet nahen, der Ausgang des Bürgerentscheids hat die Diskussion erschwert. Die Entscheidung fiel heute an den Gemeinderat zurück.

Die Premiere in Mühlacker mit einem Bürgerentscheid scheiterte heute. Man müsse das Resultat zuerst sacken lassen, sagte der OB in einer ersten Reaktion. Ich jedenfalls bin vom Ausgang enttäuscht als derjenige, der seiner Fraktion vorschlug, diesen Weg der direkten Demokratie zu gehen und die dieser Anregung nach lebhafter Debatte gefolgt war. Im Gemeinderat fand sich   die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit. 16 Jahre schob der Rat die Entscheidung über ein neues Gewerbegebiet vor sich her, die Fraktionen blockierten sich gegenseitig. Gleichzeitig gab es in der allgemeinen politischen Diskussion verstärkt die Forderung nach mehr Elementen direkter Demokratie gerade auf kommunaler Ebene. Doch: Stell Dir vor, die Menschen sollen mehr selbst entscheiden und zwei Drittel lassen diese Chance hinaus! So klaffen Theorie und Praxis auseinander. "Schwach..." kommentierte ein User auf Facebook. Ja, schwach. Gerade auch dieses Detail, das sich auch im sozialen Netzwerk als Kommentar findet, belegt dies: "Besonders bitter finde ich ja die Beteiligung des Wahlbezirks Rathaus Mühlacker: 59 Stimmen für ja, 85 Stimmen für nein. 144, die abstimmen waren. Berechtigte: 934."

Wer künftig beklagt, der Bürger in Mühlacker werde zu wenig beteiligt, darf an den Bürgerentscheid Gewerbegebiet erinnert werden, der zum Flop wurde. Trotzdem: Das Ergebnis von heute kann nicht mit einer Handbewegung zur Seite gewischt werden. Ein kleiner Trost.

Eine Idee bewährte sich




Ein Teil der Runde

Eine Veranstaltung, die nicht im Licht der Öffentlichkeit steht: das Haushaltsgespräch zwischen dem Gesamtelternbeirat (GEB) der Schulen, der Spitze der Stadtverwaltung und den Vertretern der Gemeinderatsfraktionen. Ein Forum -  eher im Stillen -  das dem Informations- und Meinungsaustausch dient. Immer zwischen der Einbringung des städtischen Etats durch den OB und der Verabschiedung durch den Gemeinderat bietet es eine Möglichkeit, budgetmäßig nachzuarbeiten. Inzwischen spielte sich als Ritual ein, dass von jeder Schule durch den/die Rektor(in), aber auch durch Elternbeiräte erläutert wird, was ihnen auf den Fingernägeln brennt, was erledigt ist, welche Punkt auf  ihrer Wunschliste noch nicht abgearbeitet sind - manchmal erwischt es die Stadtverwaltung auf dem linken Fuß. Für uns aus dem Gemeinderat wird deutlich, wo es hebt, wo es gut läuft, wo wir Gelder bereitstellen müssen.

So war es auch gestern Abend wieder beim Treffen in einem Klassenraum des Theodor-Heuss-Gymnasiums - das elfte Mal. Ein Format, das den Stempel "bewährt" verdient. Das erste Haushaltsgespräch hatte am 21. November 2006 unter dem 2004 gewählten GEB-Vorsitzenden Dr. Roland Peter stattgefunden.  Dass nach seinem Ausscheiden aus dem Amt 2009 die Idee nicht starb, zeigt, dass sie zum Selbstläufer geworden ist. Vor 2006 war versucht worden, einmal im Jahr alle Rektoren und Elternbeiratsvorsitzenden zu einer Sitzung des Verwaltungsausschusses des Gemeinderats einzuladen mit dem Schwerpunkt Schulen, doch das scheiterte an der Steifheit der Runde, am Formalen und somit eines nicht in die Gänge kommenden Dialogs. Es fehlte auch keinen zeitlichen Bezug zu den Haushaltsberatungen. Dass es besser laufen kann, bewies der GEB, als er in eine Schule einlud - fest angebunden an die aktuellen Etatberatungen, nicht gebunden an gemeinderätliche Formalitäten, mit OB, BM, Amtsleiter und Räte als Gäste des GEB. Nachdem die Stadt den Sanierungsstau an Schulgebäuden deutlich reduziert hat, hören die kommunalen Vertreter öfters auch Lob. Dass es aber noch Rückstände gibt, wird auch deutlich - wenn zum Beispiel UvD-Schule, Gymnasium, Grundschule Großglattbach und andere beklagen, manche Fenster ließen sich seit Jahren nicht mehr öffnen. Eine never ending story. Brauchen wir ein Fenster-Sanierungsprogramm?

Immer wieder auch als Thema beliebt: Umgestaltung von Schulhöfen, Multimediaausstattung, weitere Sanierungen - selbst die Taubenplage an der Lomersheimer Wendlerschule und der ganz neue Wasserschaden im ersten Stockwerk der Mühlhäuser Grundschule ließen sich gut platzieren. Die Verwaltungsmitarbeiter notierten eifrig, sicherten hie und da Ortsbesichtigungen zu, erläuterten, mussten auch mal passen. Nicht zur Kontrolle, sondern der besseren Übersicht wegen, wie GEB-Sprecherin Tina Krüger, fragte der GEB zuvor aktuelle Anliegen der Schulen ab, erfasste sie in einer elektronischen Liste, nannte Zuständige, gab das letzte Datum der Kommunikation in der jeweiligen Sache mit der Verwaltung an, beschrieb den Status. Eine Bestandsaufnahme via Computer. Während der Sitzung wurde sie erweitert und aktualisiert.

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Waldäcker-Bilanz ausgeglichen




Waldäcker-Bilanz aus dem Rathaus

Die Stadtverwaltung Mühlacker legte heute in der Antwort  auf meine Gemeinderatsanfrage  eine Übersicht der Kosten des Gewerbe- und Industriegebiets Waldäcker vor. Wie Oberbürgermeister  Frank Schneider mitteilte, beliefen sich die Gesamtausgaben für die Erschließung sowie den Grundstückserwerb auf insgesamt 16,62 Millionen Euro. Der städtische Anteil lasse sich nur schwer ermitteln. Grund hierfür  sei die lange Laufzeit der Vermarktung: „Durch den seit 1998 laufenden Kapitalrückfluss wäre eine Verzinsung nur ungenau beziehungsweise mit hohem Aufwand darzustellen.“ Die Gesamteinnahmen inklusive Erschließungsbeiträgen betragen laut OB  aktuell 17,09 Millionen Euro.  Daraus ergebe sich ein Saldo von rund 475.000 Euro. „Unter Berücksichtigung noch zu erwartender Erlöse (es stehen noch Restflächen zur Verfügung) und den angefallenen Zinsen und Verwaltungskosten ist von einer ausgeglichen Bilanz auszugehen“, so der Oberbürgermeister. Leserbriefschreiber hatten in den vergangenen Tagen die Offenlage dieser Daten gefordert. Die Stadt hat nichts zu verheimlichen. Mit meiner Anfrage knüpfte ich  an eine Gemeinderatsvorlage von 1997 an. Darin wurden die voraussichtlichen beitragsfähigen Kosten von Grunderwerb, Erschließung, Begrünung etc. fürs 30,58 Hektar große Gewerbegebiet Waldäcker mit 7,47 Millionen Mark  angegeben, zehn Prozent als Anteil der Stadt. Vorfinanzierungskosten seien damals nicht beziffert worden. Die Zahl war Basis der Festlegung der Verkaufspreise in der Gemeinderatssitzung vom 8. Dezember 1997. S16-084-23GE-GIWaldcker.pdf


Noch mehr am Tropf

Den mehr als 400 Seiten dicken Haushaltsplan 2017 fest im Blick.

Korrekturen  am städtischen Etatentwurf 2017: Mehr als 50 Positionen umfasste die Änderungsliste, die die Stadtverwaltung dem Gemeinderat Mühlacker gestern Abend vorgelegt hatte. Meist handelte es sich um kleinere Beträge - mit zwei Ausnahmen. Bei den Schlüsselzuweisungen des Landes wegen mangelnder Steuerkraft der Kommune fließen knapp 1,18 Millionen Euro mehr als zunächst kalkuliert - mit nun 12,5 Millionen Euro ist es wieder der größte Einnahmeposten im Haushaltsplan. Der Anteil an der Einkommensteuer musste um 217.000 Euro nach unten auf  nun 12,26 Millionen Euro korrigiert werden. Dahinter verblassen die Einnahmen aus den Grundsteuern. Die Gewerbesteuer wird auf zehn Millionen Euro geschätzt, doch davon müssen knapp zwei Millionen Euro als Umlage ans Land überwiesen werden. Damit bestätigt sich wieder, was die Gemeindeprüfungsanstalt Baden-Württemberg seit Jahren beklagt: Mühlacker hat unterdurchschnittliche Steuereinnahmen. Dass die Schlüsselzuweisungen den dicksten Posten auf der Haben-Seite ausmachen, bedeutet: Die Stadt hängt über Gebühr am Tropf des Landes und ist politischen Entscheidungen ausgeliefert, die nicht in Mühlacker, sondern in Stuttgart getroffen werden. So zum Beispiel jetzt, als die Landesregierung beschloss, 300 Millionen Euro zusätzlich aus dem Finanzausgleichstopf für sich abzuzweigen - aus diesem Topf fließen auch die Schlüsselzuweisungen. Wenn weniger drin ist, bekommen alle weniger. Durch die Proteste der kommunalen Spitzenverbände begnügt sich das Land nun mit 200 Millionen Euro. Mühlacker muss schauen, mehr auf eigenen Beinen zu stehen. Das heißt: Entweder höhere Steuersätze zu beschließen - doch wir liegen schon im oberen Mittelfeld - oder aber die Zahl derer zu steigern, die steuerpflichtig sind. Im Klartext: mehr Einwohner, mehr Besserverdienende, mehr Unternehmen. Das alles geht nicht ohne Inanspruchnahme von Flächen für Wohnhäuser und Betriebe. Auch wenn manch dies vehement bestreiten.

Nur mal so quergefragt




120 Besucher im Uhlandbau

Nur einmal quergefragt im Vorfeld des Bürgerentscheids am ersten Adventssonntag über ein neues Gewerbegebiet in Mühlacker.


Schließen sich eine lebenswerte Stadt und Arbeitsplätze in einem neuen Gewerbegebiet aus? Ja, meinen offenbar die Gegner, denn ihr Slogan "Für ein lebenswertes Mühlacker" steht in ihrem Flyer außen drauf - und innen wird ausschließlich gegen das Projekt argumentiert. Ich dachte bisher, Job und Einkommen seien Teil von Lebensqualität, die eine Gemeinde lebenswert macht. Überhaupt: Was bei den Gegnern zählt, sind nur die Arbeitsplätze in der Landwirtschaft, andere Branchen werden ausgeklammert. Machen produzierende Firmen eine Stadt unattraktiv? (Update: Dazu siehe Kommentar)

Ist ein Bürgerentscheid ein Beleg für die Unfähigkeit des Gemeinderates? Ja. das zumindest  lässt sich aus dem dreiseitigen Brief  ableiten, den die Industrie- und Handelskammer Nordschwarzwald (IHK) an ihre Mitgliedsfirmen in Mühlacker geschrieben hat. Sie wirbt darin für ein Ja zu einem neuen Gewerbegebiet beim Bürgerentscheid am 27. November, den der Gemeinderat mit den Stimmen von CDU, SPD und LMU auf den Weg gebracht hat. Die Kammer führt dies als Beleg dafür an, dass der Gemeinderat sich in dieser Frage nicht entscheidungsfähig gesehen habe. Auf die Idee, eine wichtige Frage der Stadtentwicklung dem Bürger als Souverän vorzulegen, der mit den Folgen leben muss, kommt den IHK-Oberen nicht in den Sinn. Bürgerbeteiligungsmäßig nicht auf der Höhe der Zeit?

Ein entschiedenes Sowohl-als-auch? Wer die Stellungnahme des DGB Pforzheim/Enzkreis liest (MT vom 12. November, Seite 14), bleibt ratlos zurück. Ist der regionale Gewerkschaftsbund nun für ein Ja oder ein Nein beim Bürgerentscheid? Prinzipiell sei er für ein neues Gewerbegebiet in Mühlacker, aber nicht um jeden Preis. Für "gute" Arbeitsplätze schon. Muss die Stadt vor der Vergabe eines Bauplatzes ein Unternehmen dem Tarif-Test unterziehen, denn die Unternehmen müssten tarifgebunden und -treu sein?

Ja, wie viel waren es nun? Zur Informationsveranstaltung der Stadt am vergangenen Mittwoch im Uhlandbau ließ die Stadtverwaltung 370 Stühle stellen. Städtische Mitarbeiter zählten durch und kamen auf 120 besetzte Stühle. Die Lokalzeitungen schrieben von 200 Besuchern. Sei's drum. zu wenig auf jeden Fall. Flopt der Bürgerentscheid? Dann würde doch der Gemeinderat entscheiden. Nach rein sachlichen Abwägungskriterien?

Grundsatzfragen nicht jedermanns Sache? Die Kritik, man hätte nicht den grundsätzlichen Bedarf an einem 25 Hektar großen Gewerbegebiet zum Inhalt des Bürgerentscheids machen dürfen, sondern einen konkreten Standort, ist die Frage, was zuerst da war: die Henne oder das Ei? Wäre nicht bei einem Bürgerentscheid über einen Standort gleich die grundsätzliche Frage nach dem Bedarf gestellt worden, zu beantworten bittschön schon vorher?


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