Zerknirscht

Abendtermin in Tübingen, dort aber leider in den ladefreien Zonen auf dem Berg. Eine Gelegenheit, im bisher erst dreiwöchigen E-Mobilisten-Dasein, zum Praxistest Reichweite aufzubrechen: Lässt sich mit einer einzigen Ladung der 30-kW/h-Batterie die Strecke Ludwigsburg-Tübingen-Mühlacker bewältigen, wenn in Tübingen nachgezapft wird? Die Zeit dafür plane ich ein, fahre eine Stunde früher ab. Wie viel Ladestationen bietet die Stadt, in der mit Boris Palmer ein Grüner OB ist? Nun ja, könnte mehr sein. Auf der Internetseite von ladenetz.de, einem Verbund von Stadtwerken und EnBW, ist eine Elektrotankstelle in der Mühlbachäckerstraße 5 angegeben. Und eine Ladenetz-Karte, erworben bei den Stadtwerken Ludwigsburg-Kornwestheim, nenne ich mein eigen.

Mit einem vollen Akku und einer angezeigten Reichweite von 176 Kilometern starte ich in der Ludwigsburger Schillerstraße. Bin aber schon jetzt nervös, ob der Strom reicht, schalte bis Tübingen nur sporadisch Klimaanlage und Heizung an, habe zumeist die Taste zur Stromrückgewinnung aktiviert, was die Geschwindigkeit vor allem an Steigungen etwas drosselt. Ergebnis: Nach 70 Kilometern Autobahnen 8/81 und Bundesstraße 27 meldet das Navi, Ziel erreicht. Mühlbachäckerstraße 5. Restreichweite: 131 Kilometer, Akku 63 Prozent. Doch ich sehe keine Ladestation in der Mühlbachäckerstraße 5, nicht einmal eine Hinweistafel darauf. Auf der einen Seite der Glaspalast der örtlichen Sparkasse, gegenüber das Parkhaus eines Behördenzentrums. Ein Passant meint, in diesem Parkhaus sei womöglich eine Zapfsäule. Nichts wie rein und da steht, was das Herz des Fahrers eines Stromautos jubeln lässt – eine Ladestation, diesmal ganz in Blau als der Hausfarbe des Energiekonzerns. Ladekabel raus, am Wagen eingesteckt, Codekarte ans Display und dann die erste Pleite: Sie wird nicht akzeptiert! Weitere Versuche scheitern ebenfalls, zerknirscht packe ich das Kabel wieder ein.

Als nächste Möglichkeit zum Laden gibt die elektronische Anzeige im Auto das 1,8 Kilometer entfernte Verwaltungsgebäude der Stadtwerke Tübingen an. Nichts wie hin! Der Feierabendverkehr nervt, den (immerhin kostenlosen) Chip zum Tanken gibt es nur während der Öffnungszeiten des Kundenzentrums. Diesmal habe ich Glück. Doch das Pech folgt sogleich: Laden lässt sich nur an einem Schukostecker. Ist wie an einer Haussteckdose, die Schnecke unter den Ladegeräten. Und das ausgerechnet bei einem kommunalen Energieversorger, der sonst auf grün macht? Nach 50 Minuten zeigt die Batterie 67 Prozent an und eine Reichweite von 143 Kilometern, ohne eingeschaltete Klimaanlage, Heizung oder Gebläse. Immerhin ließen sich in der Wartezeit Mails und Telefonate erledigen. Doch der Stromzuwachs ist mager.

Muss noch durch die halbe Stadt, komme zum Termin zu spät, habe aber eine glaubhafte Entschuldigung. Nach eineinhalb Stunden Start zur Heimfahrt. Dann der große Schreck.
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Fahren für die Forschung




Der Nachweis-Bäbber

Stromtanken fördert die Kommunikation mit wildfremden Leuten. Wer an einer Ladestation mit dem Kabel hantiert, um damit das Elektroauto mit der Zapfstelle zu verbinden, zieht neugierige Blicke von Passanten auf sich. Halten die mich für einen Exoten? Oder für einen Fantasten? Zugegeben: Ich muss mich erst daran gewöhnen, dass jeder Handgriff beäugt wird. Manche schauen ganz verstohlen, andere stoppen, setzen zum Plausch an. Sie äußern sich beifällig, sind grundsätzlich angetan von der umweltfreundlichen Antriebskraft. Dann folgt gleich die Einschränkung: Doch für sich selbst könnten sie sich noch nicht vorstellen, vom Diesel oder Benziner auf den Stromer umzusteigen. Fragen verraten Interesse. Sie wollen wissen, wie das Stromladen funktioniert, wie lange es dauert, wie die Station freigeschaltet wird. Und sind dann rasch bei den beiden Kernpunkten: der Reichweite des E-Mobils und dem Ladestellennetz. Gestern beklagt einer, deutsche Autobauer hätten viel zu lange auf den Verbrennungsmotor gesetzt. Ob das Ziel der Bundesregierung aufgeht, bis 2020 eine Million Elektroautos auf den deutschen Straßen rollen zu sehen? Nicht alle glauben daran, äußern sich eher skeptisch. Wir sind uns aber in einem Punkt einig: Wer die E-Mobilität fördern will, muss Beispiele sehen, dass sie alltagstauglich ist.

Daran arbeiten auch Bund und Land. Am Heck meines Wagens verrät ein Bäbber mich als Datenlieferant für das vom Bundesumweltministerium geförderte, im Jahr 2014 gestartete Forschungsprojekt „InitiativE-BW – elektrische Flottenfahrzeuge für Baden-Württemberg“. InitiativE-BW soll dazu beitragen, die „Sichtbarkeit und die Akzeptanz von Elektrofahrzeugen im Land weiter zu erhöhen“. Dazu wird das Projekt von der Landesagentur für Elektromobilität e-mobil BW unterstützt. Start ist mit einer Online-Befragung: Die ersten 20 Minuten gelten der Bestandsaufnahme eines Menschen, der bisher einen schwedischen Diesel fuhr. Welche Einstellung zur E-Mobilität hat er, welche Erwartungen, wie sieht sein Alltag der Mobilität aus? In den nächsten drei Jahren folgen weitere Fragebogen, die allesamt beim Institut für Fahrzeugkonzepte des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) zusammenlaufen und ausgewertet werden zwecks „wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn“. Das Forschungsvorhaben lotet das Potenzial der Elektromobilität aus. Nicht nur Fragen gibt‘s deshalb: Ein Aufzeichnungsgerät erhebt 18 Monate lang Daten wie Geschwindigkeit, Leistung, Verbrauch, Ladezustand und Position. Ich fahre also für die Forschung. Und bin auf die Resultate gespannt. Aber wenn E-Mobile Alltag sind, fallen sie leider weg: die Gespräche mit zufällig vorbeikommenden Unbekannten an der Strom-Zapfsäule. Eigentlich schade.


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Es ist ein Auto!




Nissan Leaf, 106 PS, ein Elektromobil.

Nein, es ist keine Batterie auf vier Rädern mit darum herum montierter Blechkarosse, wie Kollegen spöttelnd vermuteten. Auch nicht quadratisch, rein funktional, ansonsten aber hässlich. Es sieht nicht nur aus wie ein Auto, es fährt wie ein Auto, es fühlt sich an wie ein Auto: Es ist ein Auto! Mein nagelneuer chicer Nissan Leaf, 106 PS, ein Elektromobil.

Seit dem Baujahr 2016 mit einer von 24 auf 30 Kilowattstunden verstärkten Batterie ausgestattet, die bis zu 250 Kilometer Reichweite pro Ladung (vorher 170) ermöglichen soll. Auf diesen Typ mit dem stärkeren Akku habe ich vier Monate gewartet. Jetzt ist er da. Das Auto mit der größten Reichweite seiner Fahrzeugklasse. Das sagt der Hersteller. Und wie sieht es im Praxistest aus? Beim Abholen im Autohaus zeigt das Display „100 Prozent Ladung“ an, aber nur eine Reichweite von 211 Kilometern. In der folgenden Nacht hängt er in der Garage an meiner eigenen Ladestation. Die Reichweite morgens bei vollgeladener Batterie? 176 Kilometer. Einen Tag darauf 188 Kilometer. Der Bordcomputer des Fünfsitzers merkt sich unter anderem den Fahrstil und berechnet danach die Reichweite. Die Schwankungen irritieren zunächst. Klimaanlage und Radio fressen acht bis zehn Kilometer Reichweite. Doch lässt sich geschickt gegensteuern. Die Automatik auf B gestellt und im Lenkrad die Taste „Eco“ gedrückt – das sorgt für Strom-Rückgewinnung, wirkt so wie der eingeschaltete Dynamo am Fahrrad. Da lassen sich Reichweitenverluste zumindest teilweise ausgleichen. Ein Solarspoiler auf dem Dach spendet Extra-Energie für Radio, Klimaanlage und Heizung, allerdings ist dies kaum spürbar und schließlich scheint auch nicht immer die Sonne.

Der erste Tag mit dem Neuen: Nur 18 Prozent der gespeicherten Elektroenergie braucht das Fahrzeug morgens die 34 Kilometer von Mühlacker nach Ludwigsburg, wo sich bei der Kreissparkasse an der Schillerstraße das Nachladen anbietet. Die Zugangskarte der Stadtwerke Ludwigsburg-Kornwestheim, für 180 Euro im Jahr erstanden, macht’s möglich. Ich hole das Ladekabel aus dem Kofferraum, halte meine Karte ans Display, öffne die Ladeklappe an der Frontseite des Autos, verbinde Auto und rote Ladesäule, schon lädt der Akku. Nicht vergessen: Das Ladekabel muss mit einer dafür vorgesehenen Taste unterm Lenkrad verriegelt werden, damit das Kabel nicht gestohlen werden kann. Nach der Rückkehr aus der Redaktion ist das „Tanken“ beendet. Der Verbrauch: 7,4 Kilowattstunden, die durch den Jahrespreis abgegolten sind.


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Tagebuch eines E-Mobilisten: Jetzt fehlt nur noch . . .




Da hängt sie: Meine Ladestation lädt schneller.

Jetzt hängt sie an der Wand meiner Garage, die erste und bisher einzige private Ladestation für Elektroautos in Mühlacker. Zuerst hieß es, das Stromtanken an der normalen Haussteckdose funktioniere. Tut es auch. Nur eine ganze Nacht ist zu kurz, um eine 30-kW/h-Batterie von Null auf voll zu bringen. Also liegt nun ein extra Stromkabel vom Keller bis zur Garage. Ein paar Meter zwischen einem neu gesetzten Zähler im Haus und der Garage. Eine Gemeinschaftsleitung der Firmen Unomondo und Ritter.  Ich habe extra nochmals nachgefragt. Eine normale Steckdose hat 16 Ampere, meine Ladestation das Doppelte. Eine Wechselstromladestation. Bei einer normalen Steckdose mit 2,3 kW braucht eine Vollladung je nach Batterieleistung zirka elf Stunden. Bei 4,6 kW, was eigentlich maximal vom Energieversorger freigegeben ist, lädt sich es doppelt so schnell. Meine  Ladestation kann 6,6 kW und wurde vom Energieversorger genehmigt. Sollte mein Auto mit 6,6 kW laden können, wäre die Batterie nach zirka vier Stunden voll, wenn sie vorher vollkommen leer war. Also die Ladestation ist mein. Und inzwischen auch eine Jahreskarte des deutschlandweiten ladenetz.de (Motto: einstecken, aufladen, losfahren) für 180 Euro, erstanden bei den Stadtwerken Ludwigsburg-Kornwestheim, die 20 öffentliche Ladestationen unterhält. Meist mit Mennekes-Steckern. Als das Elektroauto aufkam, entwickelte Walter Mennekes als Erster den passenden Ladestecker. Sein System ist heute europäischer Standard - auch wegen eines Fußballspiels. Das irritiert mich leicht. Nicht das Fußballspiel, sondern die EU-Norm. Denn den Nissan Leaf bauen die Japaner. Welcher Stecker hat nun welche Norm? Die Steckerfrage: Passt er oder passt er nicht? Ich werde die richtige Norm lernen, genauso schnell wie ich die Erkenntnis gewonnen habe, dass schnell nicht immer schnell ist. Schnelles Laden ist relativ. Als ich vor Wochen einen Leaf zur Probe fuhr, wollte ich an der Ladesäule vor dem Stadtwerkegebäude in der Mühlacker Danziger Straße in 30 Minuten von 56 Kilometer Reichweite auf volle 140 aufstocken. Meine Tochter und ich wunderten sich, dass zwei der drei blauen Ladeleuchten hinter der Frontscheibe des Wagens sich kaum veränderten. Nach 70 Minuten hatte sich die Reichweite auf 72 Kilometer erhöht. Ich brach das Laden ab und gewann die erste Erkenntnis eines E-Mobilisten: Schnell ist nicht schnell. Schnell ist Starkstrom. Ach ja, eine Ladekarte der Stadtwerke Mühlacker nenne ich auch noch mein eigen. Auch wenn die Lade-Infrastruktur in der Senderstadt eher dürftig genannt werden muss, sie soll sich aber verbessern. Zwei Ladekarten und eine hauseigene Ladestation. Jetzt fehlt nur noch eines - das Elektroauto. Denn die Auslieferung hatte sich verzögert.