Störenfried Sarrazin und die Politiker

Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab" sorgt für Zoff im Land. Weil ich den Band noch nicht gelesen habe, erspare ich mir einen Kommentar zum Inhalt. Aus dem Zusammenhang gerissene Zitate sind mir als Basis eigener Meinungsbildung zu dünn. 


Aber die öffentlichen Reaktionen zeigen, dass Sarrazin den Finger in die Wunde unzureichender Integration gelegt hat. Statt sich mit den Aussagen des Autors zu beschäftigen, wird nur geholzt: Kanzlerin, Bundespräsident und alle diese hochlöblichen Politiker, die sich gerne in Sonntagsreden ergehen, wollen Sarrazin abstrafen. Es gibt offenbar Themen in diesem Land, die dem Mainstream nicht passen. Und dann brechen sie den Stab über jemanden, der die ausgetretenen Pfade verlassen und so gegen das verstoßen hat, was nicht in den allgemeinen Geschmack passt. Bei Sarrazin heißt es: Abberufung als Bundesbanker. Strafe muss schließlich sein für den, der sich dem allgemeinen Anpassungskurs verweigert.


Die Linienrichter der "Political Correctness", wie Henryk M. Broder es postuliert hat, strafen unnachsichtig ab. Statt sich mit dem Inhalt zu beschäftigen und den Streit um die Sache zu suchen, wird gezündelt. Brandopfer kann das Recht auf freie Meinungsäußerung sein, wenn dieses Recht bezahlt wird mit dem Verlust der beruflichen Position.


Dass der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Mühlacker, Hazan Özer, davon abrät, das Buch zu verbieten, dokumentiert eine bestimmte Geisteshaltung: Allein die Tatsache, dass jemand überlegt, ob man Sarrazins Schrift verbieten soll, verrät einen Konflikt mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Dass es auch in Mühlacker Integrationsprobleme gibt, muss angesprochen werden dürfen. Die Bildung von parallelgesellschaftlichen Strukturen ließe sich jedoch nicht effektiv verhindern, äußert sich Oberbürgermeister Frank Schneider im selben Beitrag zu meiner Überraschung und auch Enttäuschung. Diese Parallelgesellschaften sind doch das Problem, das zum Beispiel dazu verleitet, ausreichend Deutsch zu lernen. Es gibt ja keine Verständigungsprobleme . . . 


Was hat eigentlich der Integrationsbeirat der Stadt Mühlacker bisher bewirkt? Zunächst wichtigstes Thema war wohl die frage, ob der Beirat ein eigenes Büro braucht oder nicht, obwohl die organisatorische Arbeit von der Stadtverwaltung geleistet wird.


Nach der Runde mit dem Motto "Nieder mit Sarrazin!" folgt nun eine zweite nach der Devise: "Lasst uns mehr für die Integration tun" - und geben damit dem Störenfried Sarrazin wenigstens ein bisschen recht. Plötzlich entdeckt die Kanzlerin rechtsfreie Räume in Ausländer-Vierteln - eine ganz neue Erkenntnis für sie? Und die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU) kündigte heute einen Aktionsplan Integration an. Ganz hurtig hat sie auf Sarrazins reagiert. Und ihre Diagnose ist richtig: Sie macht eine Kluft zwischen der Bevölkerung und der Politik in dieser Frage aus. 


Die Staatsministerin im Kanzleramt, Böhmer, kündigte in einem Gespräch mit "Focus" einen neuen Vorstoß der Regierung an. „Wir werden künftig Integrationsvereinbarungen mit Neuzuwanderern schließen. Noch in diesem Jahr beginnen wir in den ersten Kommunen mit dem Testlauf“, sagte die CDU-Politikerin. In diesen Verträgen will Böhmer „verbindlich festschreiben, was der Staat den Menschen zu bieten hat, aber auch was sie im Gegenzug zu leisten haben – mit Sprachkursen oder Fortbildungen zum Beispiel“.


Politik braucht Provokation. Politiker brauchen Sarrazin, damit sie die Probleme der Menschen erkennen und endlich handeln. Lieber der Streit über ein Buch als Wähler die ihr Kreuzchen bei den Radikalen machen, weil sie glauben, ihrem Unmut über ungelöste Probleme der Integration nur so Luft machen zu können.


Und was den Testlauf mit Integrationsvereinbarungen betrifft - da sollten wir uns als Stadt bewerben. Nichts geht über Integration, aber Integration ist keine Einbahnstraße. Diese unumstrittene Erkenntnis muss aber auch umgesetzt werden.