Gemeinschaftsschule: Das Land muss liefern



Standorte der Starterschulen. Quelle: Kultusministerium Baden-Württemberg

Nein, ich will nicht mit Berthold Brecht sagen: „Und so sehen wir betroffen / den Vorhang zu und alle Fragen offen“. Dazu hatte Marcel Reich-Ranicki einst im Literarischen Quartett des ZDF mehr Grund dazu. Aber Fragen blieben doch offen heute Abend bei der gut besuchten Informationsveranstaltung der Stadt Mühlacker zum Konzept der Landesregierung über die Gemeinschaftsschule. Knut Becker von der zuständigen Stabsstelle des Kultusministeriums Baden-Württemberg sowie der Rektor der seit September bestehenden Gemeinschaftsschule Neubulach im Kreis Calw, Bernd Schinko, berichteten: Becker mehr aus Sicht der Theoretiker im Ministerium, Schinko aus der Warte des Praktikers. Bekanntlich beschäftigt sich Mühlacker mit Plänen, eine Gemeinschaftsschule zum Schuljahr 2014/15 in der Kernstadt einzurichten und dafür die Schiller- und die UvD-Werkrealschule auslaufen zu lassen.
Es waren zahlreiche Eltern, aber auch viele Lehrer, jedoch leider zu wenige Stadträte im Uhlandbau, um sich die geballte Information zu holen. Überschrift könnte sein: Vom Lehrer zum Lernbegleiter, Lerngruppen statt Klassen. Das Konzept kann einen schon faszinieren. Und ist wert, dass man sich damit intensiv und ernsthaft beschäftigt - ohne politische Scheuklappen. Aber die der SPD nahestehende Präsidentin des Städtetags Baden-Württemberg und Reutlinger Oberbürgermeisterin Barbara Bosch sagte jüngst in Offenburg: "Neue Produkte scheitern, wenn sie nicht gut eingeführt werden." Sie meinte das Produkt Gemeinschaftsschule, für die ein Bildungsplan genauso fehle wie extra dafür ausgebildete Lehrer und eine ausreichende Finanzierung. Bosch: "Die Gemeinschaftsschule steht vom Start weg auf der Kippe." Wenn es nur um die Umwandlung der Werkrealschulen in Gemeinschaftsschulen gehe, bleibe die Gemeinschaftsschule das letzte Glied in der Schullandschaft. Darauf müssen wir gerade bei den Plänen in Mühlacker achten. Auch deshalb war diese Veranstaltung wichtig.
Was beschäftigte die Fragesteller heute Abend? Hier eine kleine Sammlung: Wann denn die Lehrer in Seminaren auf diese neue differenzierte Lehr- und Lernformen ausgebildet werden, denn der Unterrichtet ändert sich doch grundlegend? (Becker antwortete: "Es gibt keine spezielle Ausbildung für Lehrer an Gemeinschaftsschulen" und zog sich auf die Finanzlage des Landes zurück). Und wie denn der Übergang auf ein achtjähriges Gymnasium klappen solle, wenn die Gemeinschaftsschule auf neun Jahre angelegt sei (Becker: da brauche es noch einer Klärung). Gibt es künftig keine Realschulen mehr, schon gar nach der Aussage des Ministerpräsidenten Kretschmann, das Schulsystem werde auf zwei Säulen basieren, eine davon sei das Gymnasium? 42 Starter(gemeinschafts)schulen bestehen seit September, gibt es auch 42 Konzepte? Kennt die Gemeinschaftsschule keine Sitzenbleiber mehr? Wie lange darf ein Schüler auf der Gemeinschaftsschule bleiben, wenn er den Standard nicht erreicht? Wird in den Grundschulen auch schon nach den neuen Lehrmethoden gearbeitet? Noten sind eigentlich nicht vorgesehen, aber die Eltern können darauf bestehen, dass sie gegeben werden - nach dem Standard welcher Schulart wird dann zum Beispiel ein Fünftklässler bewertet?
Bei den Antworten zeigte sich, dass manches im Ungefähren bleibt und das Land noch eine Bringschuld bei Informationen, Regelungen und Klärungen hat, dem es bisher nicht in ausreichendem Maß nachgekommen ist. Die Erfahrungen nach sieben Wochen seit dem Start der ersten Schulen sind auch noch keine Zeit, um abschließende Bewertungen vornehmen zu können. Das zeigte nach meiner Meinung dieser Abend. Als Stadt müssen wir uns überlegen, ob wir gleich bei den ersten Runden dabei sein müssen, wenn es noch an an Klarheit mangelt. Als ich Schinko hörte, schoss es mir durch den Kopf: Brauchen wir tatsächlich keine zusätzlichen Räume?
Wir haben noch einige Monate Zeit bis zur (Vor-)Entscheidung. Das Land will die Gemeinschaftsschule (für die durchaus manches spricht), aber zum Versuchskaninchen dürfen unsere Kinder nicht werden. Neubulach ist der falsche Referenzort - die 5500 Einwohner zählende Gemeinde hat weder Gymnasium noch Realschule am Ort. Schauen wir als Stadt doch nach einer Kommune, die mit Mühlacker vergleichbar ist und auch eine Starterschule hat.
Vor der Errichtung einer Gemeinschaftsschule bestehen zwei Hürden: Der Gemeinderat muss erst noch einem Antrag ans Land - einschließlich des pädagogischen Konzepts - zustimmen und danach braucht dieser den Segen des Kultusministeriums.
Zuvor besteht Klärungsbedarf. Nicht alle, aber doch zahlreiche Fragen sind offen. Und darauf braucht es Antworten. Die Landesregierung muss zuerst liefern.

Trackbacks

Trackback-URL für diesen Eintrag

Kommentare

Ansicht der Kommentare: Linear | Verschachtelt

Noch keine Kommentare

Kommentar schreiben

Kommentare werden erst nach redaktioneller Prüfung freigeschaltet!


Um maschinelle und automatische Übertragung von Spamkommentaren zu verhindern, bitte die Zeichenfolge im dargestellten Bild in der Eingabemaske eintragen. Nur wenn die Zeichenfolge richtig eingegeben wurde, kann der Kommentar angenommen werden. Bitte beachten Sie, dass Ihr Browser Cookies unterstützen muss, um dieses Verfahren anzuwenden.
CAPTCHA

Umschließende Sterne heben ein Wort hervor (*wort*), per _wort_ kann ein Wort unterstrichen werden.
Standard-Text Smilies wie :-) und ;-) werden zu Bildern konvertiert.