Heute beim Städtetag: Da war er wieder, der Pragmatiker



Städtetag-Hauptversammlung während der Kretschmann-Rede.

Hauptversammlung des Städtetags Baden-Württemberg heute in der Oberrheinhalle in Offenburg: der jährliche Aufmarsch von Oberbürgermeistern, Bürgermeistern und Stadträten. Der kommunale Spitzenverband legte dabei eine Broschüre über Möglichkeiten der Bürgermitwirkung vor. Jeder Verwaltungschef müsse damit rechnen, von kritischen Bürgern sandgestrahlt zu werden, meinte Landtagspräsident und Ex-Bürgermeister Guido Wolf (CDU) humorvoll. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) meinte, Bürgerbeteiligungsrechte könnten Engagement und Verantwortung fördern: "Konflikte lassen sich so nicht aus der Welt schaffen, aber auf demokratische Weise entscheiden und befrieden." Freiheit und Verantwortung seien zwei Seiten einer Medaille. Pragmatiker Kretschmann: Bürgerbeteiligung könne sich zu einer nervenaufreibenden Sache entwickeln. Man müsse sich mit jedem Besserwissen auseinandersetzen. Doch die Zivilgesellschaft sei engagiert und zunehmend aufmüpfig. Städtetagspräsidentin Barbara Bosch ging noch stärker auf die Reizpunkte ein: Manche, die "wir" sagen, meinen "ich". Ihre Legitimation sei nicht höher als die der gewählten Bürgervertreter. Notwendig sei die Einhaltung gewisser Spielregeln.
Pragmatisch will der Ministerpräsident auch mit einer Forderung umgehen, die unter anderem vom Gemeinderat der Stadt Mühlacker erhoben wird: Als Ultima ratio ein begrenztes Alkoholverbot für öffentliche Plätze aussprechen zu können, wenn Kommunen dies wollen. Die Regierungsparteien SPD und Grüne sind dagegen, doch Kretschmann machte deutlich, dass er die Forderungen der Kommunen nicht einfach beiseite schieben kann. Er plant noch für November einen runden Tisch zu diesem Thema. Hoffentlich mit guten Lösungen als Ergebnis.
In den Medien lief heute breit die Forderung von Kretschmann, der Bund müsse sich stärker an den Kosten des Ausbaus der Ganztagesschulen beteiligen, weil sich sonst das Tempo nicht beibehalten lasse. Allein Baden-Württemberg müsse dafür zusätzlich eine Milliarde Euro aufbringen. Die Mittel zwischen dem Bund und den Ländern müssten neu aufgeteilt werden. Nach Angaben des Regierungschefs arbeitet derzeit das Kultusministerium an den Eckpunkten für eine regionale Schulentwicklungsplanung, die bis 2014/15 vorliegen soll. Städtetagspräsidentin Barbara Bosch, Oberbürgermeisterin von Reutlingen, forderte zurecht eine Beteiligung der kommunalen Partner des Landes. Kretschmann machte deutlich, dass es künftig Mindestgrößen von weiterführenden Schulen geben wird, ohne sich auf konkrete Zahlen festzulegen. Er sprach von "klaren Mindestgrößen". Qualität sei wichtiger als ein paar Kilometer mehr oder weniger fahren zu müssen.
Grundsätzlich sollen auch die kleinen Grundschulen erhalten werden, so Kretschmann. Er will wohl am Grundsatz der alten Landesregierung "kurze Beine, kurze Wege" festhalten. Aber nur grundsätzlich. Was bedeutet das zum Beispiel für unseren Stadtteil Mühlhausen? Grundsätzlich heiußt: nicht alles geht. Eine klare Aussage fehlte. Der Ministerpräsdent verteidigte den Abbau von 11.500 Lehrerstellen in den nächsten Jahren und sprach von der Notwendigkeit eines "zielgenauen Personaleinsatzes". Ein bisschen am Lack der Kultuspolitik der Landesregierung kratzte Barabra Bosch in ihrer Rede. "Neue Produkte scheitern, wenn sie nicht gut eingeführt werden." Sie meinte das Produkt Gemeinschaftsschule, für die ein Bildungsplan genauso fehle wie extra dafür ausgebildete Lehrer und eine ausreichende Finanzierung. Bosch: "Die Gemeinschaftsschule steht vom Start weg auf der Kippe." Wenn es nur um die Umwandlung der Werkrealschulen in Gemeinschaftsschulen gehe, bleibe die Gemeinschaftsschule das letzte Glied in der Schullandschaft. Eine Ansatzpunkt, der auch Thema in Mühlacker sein wird: Schiller- und UvD-Werkrealschulen sollen zur Gemeinschaftsschule werden. Am 15. November um 18.30 Uhr gibt es im Uhlandbau in Mühlacker eine öffentliche Informationsrunde.
Auffällig ist, dass der Ministerpräsident nicht von starken Stadtwerken spricht, die ihre eigene Rolle spielen bei der Energiewende: Er redet immer nur von der Kooperation der Stadtwerke und der regionalen Energieversorger mit der EnBW, denn letztere seien ja nun in öffentlicher und auch in kommunaler Hand. Vor Tische las man's anders. Sollen von der landeseigenen EnBW nun auch die Stadtwerke gesteuert werden? Dabei stehen sie in Konkurrenz zur EnBW und haben bewiesen, dass sie aus eigener Kraft zum Beispiel erneuerbare Energie ausbauen können (zum Beispiel die Stadtwerke Mühlacker mit Biomasse und Wasserkraft). Ein energiepolitischer Eierkuchen bringt nichts.
Von einem neuen Anlauf zum Gemeinwohl (Kretschmann) bis zu den Zweifeln, ob der Rechtsanspruch auf Betreuung für Kinder vom ersten Lebensjahr an tatsächlich zum August 2013 realisierbar ist (Bosch) gab es ein buntes Spektrum kommunaler Themen. Die Schuldenbremse, so der Ministerpräsident in einer den Kommunen ansonsten durchaus gewogenen Rede, gelte nicht nur für die Landesregierung und ihren finanzpolitischen Dreiklang: sanieren, investieren und konsolidieren. Und der Rechtsanspruch? Kretschmann sagte: "Wir sollten uns zunächst an einen Tisch setzen, bevor wir den Rechtsanspruch aufgeben." An diesem dürfe zuletzt gerüttelt werden. Er werde sich zeitnah mit den Kommunen besprechen, um die Probleme zu benennen und lösen. Da war er wieder, der Pragmatiker.

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